Kunstkammer im Schloss Bartenstein - www.pixelshine.com - www.martinschwarz.ch

WORT WIRD BILD - BILD WIRD WORT
Sinndeutungen zwischen Wort und Bild

Eröffnungsrede von Frau Dr. Brigitte Hammer, Berlin
Kunstkammer im Schloß Bartenstein
Ostermontag, 1. April 2002 um 15.00 Uhr

Lieber Martin Schwarz, liebe Kunstfreundinnen und Kunstfreunde,
meine sehr verehrten Damen und Herren !

Mein erstes Zusammentreffen mit dem Künstler MARTIN SCHWARZ, dem Maler fantastischer Verwandlungen von Kultur-Erbe-Schätzen aus dem Fundus der Kunstgeschichte liegt gut zwanzig Jahre zurück, als ich ihn in seinem Kölner Galerie-Atelier am Severinswall besuchte. Nach seinen Bearbeitungen von kunsthistorischen Highlights - von der Mona Lisa bis Mondrian - hatte er gerade begonnen, Bilder von Sonntagsmalern mit malerischen Ergänzungen zu "veredeln". Tief beeindruckend bleibt für mich jedoch die unauslöschliche Erinnerung an seine begeisterte Erzählung über seine Lektüre des "Grünen Heinrich", dem Bildungs- und Lebensroman eines Künstlers, verfaßt von seinem Landsmann aus dem 19. Jahrhundert, Gottfried Keller, in dem er die erste Erfindung der abstrakten Malerei entdeckt hatte.
Bei meinem diesjährigen Besuch in der von Schwarz seit 1994 eingerichteten Kunstkammer in Schloß Bartenstein kehrte jene lange zurückliegende Begegnung wieder lebhaft in mein Gedächtnis zurück, als ich am Eingang zur aktuellen Ausstellung "WORT wird BILD - BILD wird WORT" der "kolossalen Kritzelei" von Schwarz gegenüberstand, in der er jene Textstelle bei Keller, in der der wandernde Stift sich zu einer abstrakten Landschaft formt, in eine gewaltige Tuschezeichnung umgesetzt hat.
Wer dem feinen Liniengeflecht, das sich über den grauen Karton spinnenhaft suchend und Gestalt findend ausbreitet, mit den Augen zu folgen versucht, gewinnt von dieser vor einem halben Künstlerleben entstandenen Arbeit eine Vorstellung von jenen Impulsen, aus denen Martin Schwarz immer wieder neue Inspirationen schöpft und die ihn so verschiedene Kunst-Stücke schaffen lassen wie die aus alten Büchern gearbeiteten Buchobjekte oder die malerischen Paraphrasen und Metamorphosen zu bekannten Bildvorlagen aus den Museen der Welt - von Stephan Lochners Madonna bis zum "Bilderbuch betrachtenden Mädchen" nach Renoir.
Das Interesse für das Lesen als Tätigkeit und das Buch als Gegenstand und gestaltetes Objekt, als Vorratskammer für Gedanken und Ideen und visuelles, das Sehen stimulierendes Ding, durchzieht wie ein roter Faden die künstlerische Arbeit von Martin Schwarz und prägt folglich auch seine sammlerische Tätigkeit, die für ihn als künstlerisches Handeln gleichwertig neben seinem anderen Tun steht und sich hier in der Kunstkammer als Akt der künstlerischen Präsentation manifestiert. Die Idee der Schwarzschen Kunstkammer nimmt dabei das historische Vorbild der fürstlichen "Kunst- und Wunderkammern" zum Ausgangspunkt für eine zeitgenössische Verwandlung in ein Konglomerat unterschiedlicher Artefakte, von Kunst- und Fundstücken, von namhaften Kollegen oder auch von anonymer Hand geschaffen. Auf den ersten Blick mag dies zunächst wie ein unübersichtliches Gewimmel von Details erscheinen, tatsächlich erweist es sich als ein komplexes, von Künstlerintentionen geprägtes und von Künstlerhänden gestaltetes Tableaux, das auf vielschichtige Weise Geschriebenes und Gedrucktes mit Gemaltem verbindet und in einen weiten Kosmos von Gedachtem hineinstellt.
Eine der am vollständigsten erhaltenen Kunst- und Wunderkammern befindet sich im Schloß Ambras bei Innsbruck und wurde von Erzherzog Ferdinand von Habsburg
vor mehr als vierhundert Jahren begründet und eingerichtet. Wie viele seiner fürstlichen Zeitgenossen war der Erzherzog ein gelernter Handwerker und arbeitete oft in seiner Drechselwerkstätte, wo er "theils um der Kultur des Verstandes, theils um der Bewegung des Leibes willen" seinem Vergnügen nachging. Ein Besuch in Schloß Ambras vor vielen Jahren löste bei Martin Schwarz - seit vielen Jahren Mieter in Schloß Bartenstein im Hohenloher Land - den Impuls aus, seine zeitgenössische Kunstkammer zu gründen, und man kann durchaus in Anlehnung an das Zitat von Erzherzog Ferdinand finden, daß er dies "teils um der Kultur der Ideen, teils um der Bewegung der Gedanken willen" initiiert hat.
Das prägende Sammelprinzip einer historischen Kunst- und Wunderkammer liegt in der gleichwertigen Präsentation von künstlerisch gestalteten Objekten und aus der Natur entnommenen Fundstücken wie Steinen und Mineralien oder seltsam gewachsenen Hölzern, oft aus exotischen Gegenden um den Herrschaftsanspruch und die Weltläufigkeit des fürstlichen Sammlers zu unterstreichen. Das wesentliche Kriterium für die Aufnahme in die Sammlung lag jedoch im ästhetischen Reiz des Objektes.
Dieses Sammelprinzip der Gleichwertigkeit der Objekte und dem Primat ihrer ästhetischen Erscheinung verfolgt auch Martin Schwarz in seiner Ausstellung, in der alle Exponate auf unterschiedlichste Art und Weise den Titel WORT wird BILD - BILD wird WORT umsetzen und wir wollen im folgenden versuchen, einigen Aspekten des Themas an ausgewählten Beispielen aus der Ausstellung nachzuspüren. Daß ich bei der ausgebreiteten Fülle nicht alle Objekte im Einzelnen besprechen kann, werden Sie sicher verstehen.
Daß der Ausstellungstitel aus zwei Teilen besteht, scheint zunächst dem Spiel mit der Sprache geschuldet, erweist sich jedoch auch als Möglichkeit, die angebotenen Ausstellungsstücke gedanklich zu ordnen.
Wenden wir uns dem ersten Teil zu und schauen, was zum Bereich WORT wird BILD gezeigt wird:
Da finden wir TEXTE die zu TEXTBILDERN werden, wie bei Reinhold Koehler oder in der Buchausgabe von Heinrich Heine, wo der anonyme Zensor ein frühes Beispiel für später so genannte "visuelle Poesie" hervorgebracht hat.
Es gibt WORT-SPIELE, die in Bilder umgesetzt werden wie beim "Backfisch" von Jürgen Raap, der "Gehirn-Wäsche" von Ulla Rohr, dem Rahmen von Heide Rose-Segebrecht und dem "Lapin" von Urs Bänninger oder eine ANLEITUNG ZUR HERSTELLUNG EINES KUNSTWERKES von Markus Raetz, eine UNTERSUCHUNG des LESEVORGANGS bei Jochen Hendricks.
Da werden Fundstücke mit neuem Sinn unterlegt wie bei Meret Oppenheim, die im Wald Baumwurzeln fotografierte, in deren Formation sie ihre Initialen M und O entdeckte, oder Sprichwörter und Zitate illustriert wie bei Thomas Müllenbach und Hans Küchler.
Bei einigen Beispielen der Ausstellung lassen sich auch Betrachtungen über das Lesen und Bilderschauen als "geistige Nahrung" anstellen und Verbindungen zwischen Kunst und Essen herstellen wie bei Daniel Spoerri oder Walter Lüssi.
Oder es werden kunsthistorische Vorbilder zitiert, in denen das Verhältnis von Begriff und Abbild reflektiert wird wie bei Timm Ulrichs und dem "Ceci n'est pas une pipe" nach Magritte oder der "Geschirrablage für Gertrude Stein" von Marion Gülzow.
Aber manchmal werden auch nur Wörter, Titel oder Satzfragmente in die Bilder eingefügt, um der malerischen oder fotografischen Bildstruktur ein visuelles Störelement einzufügen, das im Bildganzen höchst unterschiedliche, mal erklärende mal verrätselnde Wirkungen entfaltet wie bei Wolf Vostell oder Christian Rothacher.
Oder es wird nur mit dem "guten Namen" des Künstlers allein gearbeitet, wie bei den
Duchamp-Objekten von Walter Aue und Bernd Block oder Joseph Beuys und Gerhard Richter, denen Martin Schwarz einen optischen Hintergrund aus Autogrammkarten mehr oder weniger bedeutender Berühmtheiten gibt und so die Konfrontation mit dem flüchtigen Wesen des Ruhms sucht und ein Streiflicht auf den Aspekt von Dauerhaftigkeit und Vergänglichkeit wirft.
Zum zweiten Teils des Ausstellungstitels kommen dann mehr die Arbeiten von Martin Schwarz in den Fokus der Betrachtung. Wohl gibt es auch von ihm frühe Beispiele von Ideen-Kunst, in denen er mit seinem Namen Wort- und Sinnspiele betreibt oder auch den künstlerischen Qualitäten der Farbe Schwarz nachspürt. Aber diese sind hier nicht präsent.
Vielmehr umkreisen seine hier gezeigten Arbeiten die Verbindungen zwischen den Freuden des Lesens und seinen Wirkungen auf die Empfindungsfähigkeit des Lesenden, etwa wenn er in "Die Stille beim Lesen (nach Rembrandt)" das Bild bis an die Grenze der Sichtbarkeit zum Verschwinden bringt, oder die Struktur des Bildhintergrundes in der "Imagination beim Lesen" aus schmalrechteckigen Pinselschwüngen gebildet wird, aus denen sich jene Gesichter und Landschaftsfragmente formen, denen die Leserin im Buch begegnet.
Aber für Schwarz ist das Buch als Lese-Stoff nicht nur Thema für Bild-Erfindungen der Malerei, sondern auch ein Material und ein Gegenstand, dessen Eigen-Artigkeit er in seinen Buchobjekten aufs Eindringlichste zur Anschauung bringt. Dabei wird das Objekt zum Begriff und das Bild zum Wort - und eine optische Falle: Das "Buchkissen" ist ein steinhartes Ding, spröde und sperrig, auch wenn eine schmeichelnde Malerei zum Berühren verführt und zum Streicheln lockt ist es zum Ausruhen - physischer wie geistiger Hinsicht - völlig ungeeignet.
Sein neuestes Werk - "Die einsame Blume" - verwandelt die "Lesende Frau" nach Renoir im Verlauf einer dreistufigen Metamorphose in ein Landschaftsbild, in dem die Augen zu schwarzen, in der Weite des Firmamentes schwebenden Vögeln und der Mund der Leserin zu einer leuchtend roten Blume werden und darin nicht nur verblüffende visuelle Effekte erzielen, sondern eine wahrhaft schöne Metapher für das Weiten des Horizontes und das "Erblühen der Fantasie" durch Lesen anbietet.
Diese Bilder-Folge kann auch wie eine programmatische Anleitung zum Betrachten der Ausstellung verstanden werden. Ausgehend von einem "Wörtlichnehmen" des Bildes können sich Assoziationsketten entwickeln, die an die Grenzen der Kunst vorstoßen und diese im Bewußtsein ihres geschichtlichen Werdens immer wieder neu ausloten.
Dabei findet eine beständige Gratwanderung zwischen Ernst, Ironie und tieferer Bedeutung statt und es ereignet sich ein fortgesetztes Oszillieren zwischen schalkhaften und satirischen Aspekten und durchaus lebensweisen und bedenkenswerten philosophischen Überlegungen, die weit über das hier uns vor Augen Stehende hinausweisen und eine Ahnung von den wahren Dimensionen des Themas, auch seiner Unergründlichkeit und Rätselhaftigkeit vermitteln.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Betrachten der Ausstellung, die sich mir als heiteres Kammer-Spiel mit Lesefutter zum Satt-Sehen in der Kunst-Welt des Martin Schwarz darstellt, danke Ihnen fürs Zuhören und wünsche uns allen noch einen schönen Ostermontags-Nachmittag.

Bartenstein, den 1. April 2002
Brigitte Hammer