Lieber Martin Schwarz, liebe Kunstfreundinnen und Kunstfreunde,
meine sehr verehrten Damen und Herren !
Mein erstes Zusammentreffen mit dem Künstler MARTIN SCHWARZ, dem
Maler fantastischer Verwandlungen von Kultur-Erbe-Schätzen aus
dem Fundus der Kunstgeschichte liegt gut zwanzig Jahre zurück,
als ich ihn in seinem Kölner Galerie-Atelier am Severinswall besuchte.
Nach seinen Bearbeitungen von kunsthistorischen Highlights - von der
Mona Lisa bis Mondrian - hatte er gerade begonnen, Bilder von Sonntagsmalern
mit malerischen Ergänzungen zu "veredeln". Tief beeindruckend
bleibt für mich jedoch die unauslöschliche Erinnerung an seine
begeisterte Erzählung über seine Lektüre des "Grünen
Heinrich", dem Bildungs- und Lebensroman eines Künstlers,
verfaßt von seinem Landsmann aus dem 19. Jahrhundert, Gottfried
Keller, in dem er die erste Erfindung der abstrakten Malerei entdeckt
hatte.
Bei meinem diesjährigen Besuch in der von Schwarz seit 1994 eingerichteten
Kunstkammer in Schloß Bartenstein kehrte jene lange zurückliegende
Begegnung wieder lebhaft in mein Gedächtnis zurück, als ich
am Eingang zur aktuellen Ausstellung "WORT wird BILD - BILD wird
WORT" der "kolossalen Kritzelei" von Schwarz gegenüberstand,
in der er jene Textstelle bei Keller, in der der wandernde Stift sich
zu einer abstrakten Landschaft formt, in eine gewaltige Tuschezeichnung
umgesetzt hat.
Wer dem feinen Liniengeflecht, das sich über den grauen Karton
spinnenhaft suchend und Gestalt findend ausbreitet, mit den Augen zu
folgen versucht, gewinnt von dieser vor einem halben Künstlerleben
entstandenen Arbeit eine Vorstellung von jenen Impulsen, aus denen Martin
Schwarz immer wieder neue Inspirationen schöpft und die ihn so
verschiedene Kunst-Stücke schaffen lassen wie die aus alten Büchern
gearbeiteten Buchobjekte oder die malerischen Paraphrasen und Metamorphosen
zu bekannten Bildvorlagen aus den Museen der Welt - von Stephan Lochners
Madonna bis zum "Bilderbuch betrachtenden Mädchen" nach
Renoir.
Das Interesse für das Lesen als Tätigkeit und das Buch als
Gegenstand und gestaltetes Objekt, als Vorratskammer für Gedanken
und Ideen und visuelles, das Sehen stimulierendes Ding, durchzieht wie
ein roter Faden die künstlerische Arbeit von Martin Schwarz und
prägt folglich auch seine sammlerische Tätigkeit, die für
ihn als künstlerisches Handeln gleichwertig neben seinem anderen
Tun steht und sich hier in der Kunstkammer als Akt der künstlerischen
Präsentation manifestiert. Die Idee der Schwarzschen Kunstkammer
nimmt dabei das historische Vorbild der fürstlichen "Kunst-
und Wunderkammern" zum Ausgangspunkt für eine zeitgenössische
Verwandlung in ein Konglomerat unterschiedlicher Artefakte, von Kunst-
und Fundstücken, von namhaften Kollegen oder auch von anonymer
Hand geschaffen. Auf den ersten Blick mag dies zunächst wie ein
unübersichtliches Gewimmel von Details erscheinen, tatsächlich
erweist es sich als ein komplexes, von Künstlerintentionen geprägtes
und von Künstlerhänden gestaltetes Tableaux, das auf vielschichtige
Weise Geschriebenes und Gedrucktes mit Gemaltem verbindet und in einen
weiten Kosmos von Gedachtem hineinstellt.
Eine der am vollständigsten erhaltenen Kunst- und Wunderkammern
befindet sich im Schloß Ambras bei Innsbruck und wurde von Erzherzog
Ferdinand von Habsburg
vor mehr als vierhundert Jahren begründet und eingerichtet. Wie
viele seiner fürstlichen Zeitgenossen war der Erzherzog ein gelernter
Handwerker und arbeitete oft in seiner Drechselwerkstätte, wo er
"theils um der Kultur des Verstandes, theils um der Bewegung des
Leibes willen" seinem Vergnügen nachging. Ein Besuch in Schloß
Ambras vor vielen Jahren löste bei Martin Schwarz - seit vielen
Jahren Mieter in Schloß Bartenstein im Hohenloher Land - den Impuls
aus, seine zeitgenössische Kunstkammer zu gründen, und man
kann durchaus in Anlehnung an das Zitat von Erzherzog Ferdinand finden,
daß er dies "teils um der Kultur der Ideen, teils um der
Bewegung der Gedanken willen" initiiert hat.
Das prägende Sammelprinzip einer historischen Kunst- und Wunderkammer
liegt in der gleichwertigen Präsentation von künstlerisch
gestalteten Objekten und aus der Natur entnommenen Fundstücken
wie Steinen und Mineralien oder seltsam gewachsenen Hölzern, oft
aus exotischen Gegenden um den Herrschaftsanspruch und die Weltläufigkeit
des fürstlichen Sammlers zu unterstreichen. Das wesentliche Kriterium
für die Aufnahme in die Sammlung lag jedoch im ästhetischen
Reiz des Objektes.
Dieses Sammelprinzip der Gleichwertigkeit der Objekte und dem Primat
ihrer ästhetischen Erscheinung verfolgt auch Martin Schwarz in
seiner Ausstellung, in der alle Exponate auf unterschiedlichste Art
und Weise den Titel WORT wird BILD - BILD wird WORT umsetzen und wir
wollen im folgenden versuchen, einigen Aspekten des Themas an ausgewählten
Beispielen aus der Ausstellung nachzuspüren. Daß ich bei
der ausgebreiteten Fülle nicht alle Objekte im Einzelnen besprechen
kann, werden Sie sicher verstehen.
Daß der Ausstellungstitel aus zwei Teilen besteht, scheint zunächst
dem Spiel mit der Sprache geschuldet, erweist sich jedoch auch als Möglichkeit,
die angebotenen Ausstellungsstücke gedanklich zu ordnen.
Wenden wir uns dem ersten Teil zu und schauen, was zum Bereich WORT
wird BILD gezeigt wird:
Da finden wir TEXTE die zu TEXTBILDERN werden, wie bei Reinhold Koehler
oder in der Buchausgabe von Heinrich Heine, wo der anonyme Zensor ein
frühes Beispiel für später so genannte "visuelle
Poesie" hervorgebracht hat.
Es gibt WORT-SPIELE, die in Bilder umgesetzt werden wie beim "Backfisch"
von Jürgen Raap, der "Gehirn-Wäsche" von Ulla Rohr,
dem Rahmen von Heide Rose-Segebrecht und dem "Lapin" von Urs
Bänninger oder eine ANLEITUNG ZUR HERSTELLUNG EINES KUNSTWERKES
von Markus Raetz, eine UNTERSUCHUNG des LESEVORGANGS bei Jochen Hendricks.
Da werden Fundstücke mit neuem Sinn unterlegt wie bei Meret Oppenheim,
die im Wald Baumwurzeln fotografierte, in deren Formation sie ihre Initialen
M und O entdeckte, oder Sprichwörter und Zitate illustriert wie
bei Thomas Müllenbach und Hans Küchler.
Bei einigen Beispielen der Ausstellung lassen sich auch Betrachtungen
über das Lesen und Bilderschauen als "geistige Nahrung"
anstellen und Verbindungen zwischen Kunst und Essen herstellen wie bei
Daniel Spoerri oder Walter Lüssi.
Oder es werden kunsthistorische Vorbilder zitiert, in denen das Verhältnis
von Begriff und Abbild reflektiert wird wie bei Timm Ulrichs und dem
"Ceci n'est pas une pipe" nach Magritte oder der "Geschirrablage
für Gertrude Stein" von Marion Gülzow.
Aber manchmal werden auch nur Wörter, Titel oder Satzfragmente
in die Bilder eingefügt, um der malerischen oder fotografischen
Bildstruktur ein visuelles Störelement einzufügen, das im
Bildganzen höchst unterschiedliche, mal erklärende mal verrätselnde
Wirkungen entfaltet wie bei Wolf Vostell oder Christian Rothacher.
Oder es wird nur mit dem "guten Namen" des Künstlers
allein gearbeitet, wie bei den
Duchamp-Objekten von Walter Aue und Bernd Block oder Joseph Beuys und
Gerhard Richter, denen Martin Schwarz einen optischen Hintergrund aus
Autogrammkarten mehr oder weniger bedeutender Berühmtheiten gibt
und so die Konfrontation mit dem flüchtigen Wesen des Ruhms sucht
und ein Streiflicht auf den Aspekt von Dauerhaftigkeit und Vergänglichkeit
wirft.
Zum zweiten Teils des Ausstellungstitels kommen dann mehr die Arbeiten
von Martin Schwarz in den Fokus der Betrachtung. Wohl gibt es auch von
ihm frühe Beispiele von Ideen-Kunst, in denen er mit seinem Namen
Wort- und Sinnspiele betreibt oder auch den künstlerischen Qualitäten
der Farbe Schwarz nachspürt. Aber diese sind hier nicht präsent.
Vielmehr umkreisen seine hier gezeigten Arbeiten die Verbindungen zwischen
den Freuden des Lesens und seinen Wirkungen auf die Empfindungsfähigkeit
des Lesenden, etwa wenn er in "Die Stille beim Lesen (nach Rembrandt)"
das Bild bis an die Grenze der Sichtbarkeit zum Verschwinden bringt,
oder die Struktur des Bildhintergrundes in der "Imagination beim
Lesen" aus schmalrechteckigen Pinselschwüngen gebildet wird,
aus denen sich jene Gesichter und Landschaftsfragmente formen, denen
die Leserin im Buch begegnet.
Aber für Schwarz ist das Buch als Lese-Stoff nicht nur Thema für
Bild-Erfindungen der Malerei, sondern auch ein Material und ein Gegenstand,
dessen Eigen-Artigkeit er in seinen Buchobjekten aufs Eindringlichste
zur Anschauung bringt. Dabei wird das Objekt zum Begriff und das Bild
zum Wort - und eine optische Falle: Das "Buchkissen" ist ein
steinhartes Ding, spröde und sperrig, auch wenn eine schmeichelnde
Malerei zum Berühren verführt und zum Streicheln lockt ist
es zum Ausruhen - physischer wie geistiger Hinsicht - völlig ungeeignet.
Sein neuestes Werk - "Die einsame Blume" - verwandelt die
"Lesende Frau" nach Renoir im Verlauf einer dreistufigen Metamorphose
in ein Landschaftsbild, in dem die Augen zu schwarzen, in der Weite
des Firmamentes schwebenden Vögeln und der Mund der Leserin zu
einer leuchtend roten Blume werden und darin nicht nur verblüffende
visuelle Effekte erzielen, sondern eine wahrhaft schöne Metapher
für das Weiten des Horizontes und das "Erblühen der Fantasie"
durch Lesen anbietet.
Diese Bilder-Folge kann auch wie eine programmatische Anleitung zum
Betrachten der Ausstellung verstanden werden. Ausgehend von einem "Wörtlichnehmen"
des Bildes können sich Assoziationsketten entwickeln, die an die
Grenzen der Kunst vorstoßen und diese im Bewußtsein ihres
geschichtlichen Werdens immer wieder neu ausloten.
Dabei findet eine beständige Gratwanderung zwischen Ernst, Ironie
und tieferer Bedeutung statt und es ereignet sich ein fortgesetztes
Oszillieren zwischen schalkhaften und satirischen Aspekten und durchaus
lebensweisen und bedenkenswerten philosophischen Überlegungen,
die weit über das hier uns vor Augen Stehende hinausweisen und
eine Ahnung von den wahren Dimensionen des Themas, auch seiner Unergründlichkeit
und Rätselhaftigkeit vermitteln.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Betrachten der Ausstellung,
die sich mir als heiteres Kammer-Spiel mit Lesefutter zum Satt-Sehen
in der Kunst-Welt des Martin Schwarz darstellt, danke Ihnen fürs
Zuhören und wünsche uns allen noch einen schönen Ostermontags-Nachmittag.
Bartenstein, den 1. April 2002
Brigitte Hammer
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