Biografie und Texte zu Martin Schwarz
Martin Schwarz:
Schiltwiesenweg 1, 8404 Winterthur
1946 geboren in Winterthur
1963-67 Ausbildung zum Grafiker-Lithograph bei Heinz Keller. Seit 1968 freischaffender
Kunstmacher. Viele Gruppen- und Einzel-Ausstellungen vorwiegend in der Schweiz
und Deutschland. Wohnt und arbeitet in Winterthur und D-Bartenstein (Baden-Württemberg).
Arbeitsgebiete:
Ideen Kunst in Bildern, Objekten und Fotografien (digitale
Bild-Montagen). Veröffentlichungen von Büchern, Kunstdrucken und Postkarten
im EigenArt-Verlag, Winterthur. Seit 1994 Konzeption und Realisation von Ausstellungen
in der Kunstkammer im Schloss Bartenstein.
Philippe de Bellet:
Rencontre avec Martin Schwarz dans le cadre de l'exposition à l'Hôtel de Ville d'Yverdon
Le fantastique aux lectures multiples (Le Nord Vaudois, Novembre 2004)
Comme annoncé dans le précédent numéro du supplément culturel, l'exposition intitulé Margaretha Dubach, Martin Schwarz et Hommage à Agapé", qui se tient actuellement à la galerie de l'Hôtel de Ville d'Yverdon-les-Bains se veut à la fois festive et un rien provocante, tout en abordant des thèmes bien plus sérieux. L'artitste Martin Schwarz, de Winterthur, à l'instar de la zurichoise Margaretha Dubach, excelle dans le "détournement" d'objets. Il en résulte des icônes inattendues, tour à tour poétiques ou humoristiques, parfois un rien troublantes aussi.
Lithographe et graphiste de métier, Martin Schwarz est né en 1946 à Winterthur, ville jumelée à Yverdon-les-Bains. S'intéressant à plusieurs champs d'activité, un jour l'envie lui est venue de procéder à des assemblages et c'est ainsi qu'il s'est attelé à la réalisation de livres-objets, de montages et collages digitaux, faisant des photos qu'il métamorphose sous la forme de cartes postales notamment, et peignant des paysages fantastiques. "Je passe facilement de l'un à l'autre pour ne pas saturer", précise-t-il. Et qu'il s'affaire à l'une ou l'autre de ces techniques, pour lui, l'essentiel c'est que l'objet qui en résulte soit immédiatement parlant. Une approche qu'il qualifie de "parole par l'image immédiate".
Puissance du symbole
Ces collages et assemblages, qu'il fait depuis une vingtaine d'années, sont désormais travaillés à l'ordinateur, en collaboration avec un ami qui réalise ses idées. Aujourd'hui Martin Schwarz privilégie les montages à partir d'¦uvres d'art connues pour en proposer une vision basée sur le pirncipe de l'association. "Les contrastes mettent en valeur les éléments d'origine et débouchent parfois sur une interpellation par le biais de la comparaison. D'autres l'ont fait avant moi, mais à l'heure du virtuel, je trouve amusant d'animer des ¦uvres statiques; c'est pour moi un jeu philosophique et symbolique", commente-t-il. Le thème du livre, Martin Schwarz en a toujours eu la passion. "Un livre ne nous parle pas seulement avec les caractères qu'il contient, mais aussi avec les idées qui en jaillissent. " (A ne pas confondre avec le sens du texte - ndlr.) "Je m'efforce de faire en sorte, poursuit-il, que mes livres-objets réalisés à partir existants ou, le cas échéant, créés puis intégrés, donnent l'impression de n'avoir jamais existé sous une autre forme. Un travail assez long et minutieux", souligne-t-il.
De son côté, les objets détournés de Margaretha Dubach inspirent autant d'étonnement et d'emerveillement, mais ici la prédominante est apparemment du moins, de nature poétique, même si la dose d'humour est conséquente. Ses objets, qui constitutent des métamorphoses et des clins d'¦il, procèdent également à partir d'une base existante - de la récupération en fait - sur laquelle est greffée de la terre cuite notamment. Mais ses masques, eux, tiennent un langage plus mystérieux, voire intimidant, et renvoient autant à la mort qu'a la vie. Il faut dire que Margaretha Dubach collabore par ailleurs régulièrement avec des créations théâtrales pour lesquelles elles conçoit masques et costumes.
Dualité vie-mort
Les ¦uvres d'Agapé (prêtées par la galeriste genevoise Marianne Brand, dépositaire du fonds artistique d'Agapé), témoignent d'une longue quête, d'une réflexion sur le cheminement douloureux et la facette désolée de la vie de l'artiste. Sa série de personnages "Exode" en terre, en dit long sur ses préoccupations, ses angoisses et interrogations. Mais comme avec toute ¦uvre d'art, l'approche plastique transcende l'insuppartable et l'indicible pour lui donner un visage que l'on peut appréhender et qui devient source de méditation. Chez Agapé la couleur, expression de vie, contrebalance le noir pour atteindre l'équilibre, mais la notion d'éphémère et de passager n'est jamais très loin...
Martin Kraft:
Von Tieren und Menschen, (Der Landbote, 24. November 2004)
"ANIMAUX" im Seedamm-Kulturzentrum in Pfäffikon SZ
Mit 6 Objekten von Martin Schwarz
Bilder aus rund fünfhundert Jahren vereinigt die Ausstellung "ANIMAUX" in Pfäffikon SZ; doch es geht nie um das Tier allein. Immer wieder kommt seine wechselhafte Beziehung zum Menschen mit ins Spiel.
Die Videoarbeit "A.ni.maux" von Marie José Burki, von der sich der Titel der Ausstellung ableiten lässt, ist wie ein Schlüssel zu ihr. Wir sehen uns mit den unterschiedlichsten Tieren konfrontiert, die uns anschauen - anzuschauen scheinen. Aber wohin blicken sie überhaupt, und vor allem: was empfinden sie beim Anblick ihres Gegenübers? Vielleicht ist damit eine jahrtausendelange Beziehung auf den Punkt gebracht: Der Mensch beherrscht und benützt das Tier, und doch bleibt es ihm, auch als scheinbar vertrautes Haustier, wesensfremd.
Die Arbeit folgt als effektvoller Kontrast unmittelbar auf den chronologischen Beginn des Rundgangs um 1500, mit Dürer, Rembrandt und ihren Zeitgenossen. Hier erscheint die Position des Tieres vergleichsweise unproblematisch, gerade in den vielen Darstellungen zur Bibel ist ihm eine klare Funktion zugewiesen: Es ist im Stall und auf dem Feld, mit dabei bei der Geburt Christi, es ist notwendiger Begleiter auf der Flucht nach Ägypten, es trägt Christus beim Einzug in Jerusalem: Der prächtige Palmesel von Mellingen aus dem Landesmuseum, der allerdings eher einem Maultier gleich, beherrscht den ersten Raum. Mit ihm und seinesgleichen wird der Esel, neben einigen weiteren häufig wiederkehrenden Tieren, zu einem Leitmotiv der Ausstellung. Es schlägt den weiten Bogen zur berühmten Skulptur von Maurizio Cattelan aus dem Migros-Museum: Der mit einem Fernsehgeräte beladene Esel ist ein Spiegelbild unserer absurden Zeit.
Ein unauslotbares Thema
Aus zwingenden Gründen beschränkt sich die Ausstellung in ihrem historischen Teil weitgehend und in ihrem Auftakt ganz auf Druckgrafik. Von all den berühmten Tierbildern aus der Geschichte der Malerei, an die man unvermeidlicherweise denken mag, wären die meisten wohl gar nicht oder dann höchstens zu unzumutbaren Bedingungen ausgeliehen worden. Das ist schon insofern kein Mangel, als das Thema von vornherein den Rahmen jeder Ausstellung sprengt - selbst wenn man ganz auf die aussereuropäischen Kulturen verzichtet, auf die hier wenigstens David Zahners DVD vom Fischteich in einem südindischen Kloster verweist.
Dafür weist nun das Gezeigte - immerhin rund zweihundert Werke von 65 Kunstschaffenden - in höchst anregender Weise über sich hinaus, erinnert auf Schritt und Tritt an andere Tierbilder, die man bereits anderswo gesehen und seither gespeichert hat oder die man zu Hause irgendwo nachschlagen kann. Anderseits ist eine solche Ausstellung wie kaum eine geeignet, selbst ein für die Kunst (noch) nicht speziell begeistertes Publikum über das Interesse am Thema zu ihr zu führen.
Fabelwesen und Genmanipulation
Gerade weil sie und die mit ihr nicht ganz übereinstimmende Begleitpublikation die Materialfülle wenigstens ansatzweise chronologisch und thematisch ordnen, wird deutlich, wie sich im letztlich unauslotbaren Bereich der tiermenschlichen Begegnung die Grenzen stetig verschieben oder überschritten werden. Schon die frühesten Bilder zeigen ja das Tier nicht nur als Arbeitskraft und Jagdbeute, also dem Menschen nützlich, sondern mit der Schlange im Paradies auch als unheimliches und bedrohliches Mischwesen. Es zeichnet sich von hier aus eine eigene Entwicklungslinie der Fabeltiere ab. Martin Schongauers Dämonen, die den heiligen Antonius plagen, gehören dazu, aber auch das sagenhafte Einhorn von Jean Duvet, der symbolträchtige Pegasus von Odilon Redon und Picassos Minotaurus. Sie bekommen neue Aktualität in unserer Zeit des Klonens und der Genmanipulation: in den aus Tierpräparaten, beispielsweise von Pelikan, Känguru und Pferd, zusammengesetzten Monstern von Thomas Grünfeld, welche die populäre Tradition der bayrischen Wolpertinger aufnehmen, in den Zeichnungen phantastischer Mischwesen, etwa eines Sperlingsmenschen, von Juul Krajer und in den zoomorphen Menschbildern von Miriam Cahn. Und auch die Buch- und anderen Objekte von Martin Schwarz sind eigenwillige Zwittergebilde. "Evolutionärer Schritt" zum Beispiel: ein Fischkopf, der nahtlos in einen Fischerstiefel übergeht und damit eine jahrtausendelange Entwicklung in einer Momentaufnahme konzentriert.
Mythologie und Karikaturen
Es gibt bekanntlich nicht nur Schmuse-, sondern auch so genannte Ekeltiere, die wohl seit Menschengedenken bei vielen Leuten Unbehagen auslösen und somit auch ihrerseits eine Art Leitmotive werden. Ein beachtliches Exemplar von Louise Bourgeois' Bronzespinnen kann neben anderen ambivalenten Gefühlen bemerkenswerter Weise auch so etwas wie Schutz und Geborgenheit vermitteln und erweckt auch biografisches Interesse: Die Eltern der Künstlerin restaurierten Textilien, und schliesslich war es ja die sagenhafte Weberin Arachne, die von ihrer Konkurrentin Athene in eine Spinne verwandelt wurde. Mythologische Assoziationen erweckt auch die Performerin Marina Abramovic, die in einer Reihe von Videos mit viel Geduld und sicher auch einiger Courage Schlangen um ihren Kopf, der nun wie ein Medusenhaupt wirkt, sich winden lässt. Stadttauben haben sich in der Hitparade der Unbeliebtheit ja einen Spitzenplatz erobert, und Marianne Müller hält in ihrer Videoinstallation das bedrohliche Treiben der "Flugratten" in Brooklyn von früh bis spät fest.
Auch in der Karikatur treffen wir, als Spiegel des Menschen, viele Tiere. Aus dem Museum Oskar Reinhart kommen "Caprichos" von Goya, mit dem Esel, der, in einem Sessel sitzend, seinen Stammbaum studiert. Martin Disteli hat Hund und Katz in politischen Allegorien vereint, Jean-Ignace Isidore Grandville die Menschengesellschaft als vertiert blossgestellt. Schon mit zoomorphen Comicsfiguren liesse sich schliesslich eine eigene Ausstellung bestreiten; Mickymaus ist wenigstens präsent auf einem monumentalen Skizzenblatt von M.S. Bastian und als Anamorphose von Markus Raetz.
Peter K. Wehrli:
Martin Schwarz in der Galerie Wengihof, Zürich
2003/04
Da hängt das Bild, das unserer Ausstellung in der
Galerie Wengihof den Titel gegeben hat. Es zeigt einen Maler. Der Maler malt.
Dieser malende Maler malt das Bild eines malenden Malers. Eines Malers, der
mit seinem Selbstbildnis beschäftigt ist. Das klingt nach Augentrug und
Wortspielerei. Und als verwirrendes Vexierbild kann man das Gemälde durchaus
erleben. Hat man sich – um wieder Ordnung in die eigene Wahrnehmung zu
bringen – von Bildebene zu Bildeben vorgetastet, und stellt man sich dann
auch noch den Maler vor, der in seinem Atelier mit dem Pinsel in der Hand vor
diesem Bild steht, so merkt man bald, dass man hier mit wenigen Blicken eine
ganze Schule des Sehens absolviert hat: Sensibilisierung des Blicks. Der Maler,
der da malt im Bild, dieses Thema hat Martin Schwarz am legendären Vermeer
durchexerziert und – in unserem Beispiel – an René Magritte.
Das Selbstbildnis. Was aber aus dem Bild im Bild heraustritt ist nicht der "gemalte
Maler", sondern vielmehr seine Muse und der weibliche Teil seiner selbst.
Die Irritation, die hat der Martin Schwarz ins Bild hineingemalt. Umdeutungen
wichtiger Bilder aus der ganzen Kunstgeschichte sind gewissermassen sein Markenzeichen
geworden. Er beweist seine Fähigkeit, in vielen Stilen malen zu können.
Doch das Demonstrieren von Virtuosität ist nicht sein Hauptanliegen. Und
selbst wenn er ein Bild im Stil Picassos, Caspar David Friedrichs malt oder
Rouaults dicken Pinselstrich imitiert, niemand wird da "Fälschung!"
schreien. Denn immer verwandelt Martin Schwarz den Bildinhalt seiner Vorlagen.
Und seine verblüffenden "Stilübungen" müssen diesmal
nicht dem Handwerk des Malers nützen, sondern der Wahrnehmungslust des
Betrachters. Und die Lust, diese Lust am Enträtseln, steigert sich von
Bild zu Bild.
Er denkt das Bild weiter, malt es weiter. So versetzt er etwa ruhig sitzende
Modelle plötzlich in Bewegung oder er gibt Männerporträts eine
Frau zu Seite, und fügt die abgebildete Frau zum Paar. Das sind nur zwei
Arten von Martin Schwarz‚ Eingriffen in bestehende berühmte Gemälde.
Weitere zeigen wir hier in dieser Ausstellung: Das Hin und Her vom Abstrahierenden
(vom Abstrakten) zum Gegenständlichen – und umgekehrt – das
Schwarz an einem "picassesken" oder "picassösen" Frauenkopf
durchexerziert. Oder er untersucht, was sich verändert, wenn der dem Mädchen
die Katze (die es bei Picasso im Schoss hat) in die Arme gibt. Nie ist da einfach
etwas abgebildet, immer passiert etwas mit dem Abgebildeten. Auf diese Weise
sind Schwarz‚s Bilder im Grunde immer "Kunst über Kunst".
Auch wenn er in ein berühmtes Stilleben wie jenes von Binoit unpassende
Gegenstände einfügt, Dinge aus seiner Rumpelkammer auf dem Tisch liegen
lässt. Seine "Stilübungen" trägt er auch an jenem Bild
aus, das viele als Picassos bedeutungsvollstes bezeichnen: "Guernica".
Wenn Picasso darin das Entsetzen des Krieges, den Kampf im Gange, Krieg in Aktion
als Mahnmal darstellt, so stellt sich Martin Schwarz die Folgen davon vor: die
Zerstörung nach dem Kampf, die Leere einer Stadt, aus der das menschliche
Leben "herausgebombt" worden ist. Martin Schwarz denkt Bilder weiter,
bestehende Bilder, er arbeitet spielerisch an und mit berühmten Gemälden,
er deutet sie um, zitiert sie, paraphrasiert sie wie ein Musiker sein Motiv,
- wie der Komponist, der Variationen auf das Werk eines anderen Musikers komponiert.
Geradezu halsbrecherisch ist sein Mut zwei der ganz Grossen in einem Bild aufeinandertreffen
zu lassen: "Caspar David Friedrich meets Picasso" sagt er dazu. Eine
entkörperlichte Picasso-Figur in der mythischen Eis-Szenerie von Caspar
David Friedrichs "Letzter Hoffnung". Die Angleichung von Gegensätzen,
das Unterschiedliche in Gemeinsamkeiten: geistreich und provozierend setzt Martin
Schwarz dieses Wechselspiel in Gang. Zur Schulung unserer Wahrnehmung kommt
aber auch noch ein geradezu übermütig durchgeführtes Schulfach:
Schwarz hilft uns, im Spiel und mit Vergnügen die aus den Fugen geratene
Kunstgeschichte selber wieder zurechtzurücken. So vermischt sich für
uns Betrachter die künstlerische Erfahrung stets mit neuen Erkenntnissen
von Zusammenhängen in der Kunstentwicklung. Auf so vielen Ebenen kann Martin
Schwarz‚ listenreiche Malerei wirken, dass ein Kritiker einmal gestehen
musste: "Wenn ich ein Bild von Schwarz beobachte, merke ich plötzlich,
dass ich mich beim Beobachten beobachte". Und so geschieht es wohl allen
von uns.
Dem vergnüglichen Verwirrspiel hat Martin Schwarz eben jetzt eine zusätzliche
Spielvariante beigefügt: Er malt "Bilder im Konditional", Bilder
in der Möglichkeitsform: Was hätte Hodler gemalt wenn er in Afrika
gewesen wäre – und wie hätte er es gemalt? Was wäre gewesen,
wenn...? Hätte Cézanne den Bürgenstock bestiegen.... was, wenn
van Gogh Ferien in Zermatt verbracht hätte. Er hat dem Matterhorn, diesem
Klisché helvetischer Touristenindustrie, eine neue Frische gegeben und
unseren Augen neue Nahrung.
Martin Schwarz lebt in Winterthur. Da liegt es nahe, dass er sich vorstellt
die bedeutendsten Künstler der vergangenen Jahrhunderte seien nach Winterthur
gereist, hätten dort ihre Staffelei im Freien aufgestellt und idyllische
Ansichten der Eulachstadt gemalt. Und wäre Van Gogh je in Winterthur gewesen,
er hätte den Kirchenhügel von Oberwinterthur so gemalt, wie es Martin
Schwarz getan hat, als eruptive Vision. Den französischen Impressionisten
Claude Monet führt Schwarz an einem sonnigen Sonntagmorgen vor das Kunstmuseum
Winterthur, - das heisst: er malt die Museumsfassade so wie Claude Monet sie
gemalt hätte.... wenn er.... Dass zwei Personen das selbe Stadtquartier
ganz unterschiedlich sehen, legt er dar wenn er uns Oberwinterthur durch die
Augen Cézannes erleben lässt und gleich anschliessend durch Van
Goghs imaginäre Brille. Martin Schwarz ist der Meister im Irritieren. Die
Brillanz mit der er es tut, reichert jedes Lehrstück mit listigem Augenzwinkern
an. Mit mehr visueller Spiellust als dort, sind die Geheimnisse der Kunstentwicklung
kaum irgendwo zu entschlüsseln.
Natürlich lassen sich die grossen Kunstwerke des Abendlandes nur in Reproduktionen
bearbeiten, umdeuten, übermalen. Das Sakrileg, sich am Original zu vergreifen,
hätte schlimme Folgen. Aber dann hat er doch einen Weg gefunden, ungestraft
mit seinem Pinsel in bestehende Bilder eingreifen zu können. Im Brockenhaus
und bei Trödlern hat er jene süsslichen Bilder entdeckt, wie sie die
sogenannten "Sonntagsmaler" herstellen. Sie malen wegen ihrer täglichen
Berufsbelastung tatsächlich nur am Sonntag und halten ihre Welt in gewissermassen
"sonntäglicher" Stimmung fest. Da blühen die Blumen wie
auf den Packungen aus dem Samenladen, da prangt die Lieblichkeit der Landschaft
als hätte sich die Natur längst vom Waldsterben erholt. In diese naive
Idylle hat Martin Schwarz nun den Schrecken hineingemalt, das Unvorhergesehene.
Und Schwarz dokumentiert dieses Unvorhergesehene, dieses Beruhigende in seinem
Buch "Sonntagsmalerei mit Fallgruben". Dieses Buch setzt unsere Ausstellung
fort, ergänzt sie, weitet sie aus ins andere Medium, so wie "Verwandlungen
von Bildern und Büchern" unsere Ausstellung gewissermassen als ihr
Katalog begleitet: ein Buch bleibt da nicht einfach ein Buch und ein Bild erst
recht nicht nur ein Bild: Viele Dinge entpuppen sich beim zweiten Blick als
etwas ganz anderes, als das, was sie beim ersten schienen. Man geht in die Falle
von Martin Schwarz‚‚ Irritation. Man freut sich sogar darüber,
weil man weiss, dass man um wesentliche visuelle Erfahrungen bereichert aus
ihr herausfindet. (Beispiele, die er im Bild im Buch austrägt: Der Ausflugsdampfer
"Blüemlisalp" ist gestrandet, die Wolken über niedlicher
Landschaft formen sich unversehens zum Atompliz. Die Sonntagsmaler malen die
Welt ja ohnehin nicht wie sie ist, sondern so wie sie zu sein scheint, und Martin
Schwarz trägt mit seinem Eingriff nach, wie sie sein könnte –
nicht nur in den Bildern des Sonntagsmalers sondern in jenen aller seiner Berufskollegen
– Und wie sie werden kann, wenn der Zerstörung nicht Einhalt geboten
wird. So verwandelt Schwarz die sonntägliche Idylle zum Mahnmal). Dass
Buch und die Arbeit am Buch läuft wie ein roter Faden durch Martin Schwarzs
Werk. Und ebenso die Postkarte: Die "andere" Postkarte, eigentlich
ein Massenmedium, trägt die Botschaften vertausendfacht in viele Länder
der Welt. Und Martin Schwarz nutzt dieses Medium um unsern Blick zu schärfen.
Wo üblicherweise die gängigsten Sehenswürdigkeiten, das sattsam
Bekannte nochmals und nochmals gezeigt wird, nutzt Schwarz die Post als Instrument
der Sensibilisierung. So zeigt Schwarz zwar stets, wie schön die Dinge
sind, und macht gleichzeitig den Grad ihrer Gefährdung bewusst. Zweckfrei
bleiben seine Irritationen beileibe nie. Und interessant ist zudem, dass diese
Ansichtskarten nicht etwa ins Postkartenformat verkleinerte Reproduktionen sind
von Bildern, wie sie viele Künstler immer wieder geschehen lassen. Es sind
vielmehr Bilder, die Schwarz im kleinen Format konzipiert hat, Collagen aus
verschiedenen Karten, die mit der Kommunikationskraft des Mediums Postkarte
rechnen: Martin Schwarz behandelt die Postkarte als eigene künstlerische
Gattung.
Das Buch, dieser Gegenstand, dem man nicht ansieht, dass er die ganze Welt in
sich trägt, hat Martin Schwarz immer beschäftigt. Nicht nur in seinen
verwirrenden "Buchobjekten", Bücher als Skulptur auch. Er zeigt
uns Bücherlandschaften, Bücherarchitektur. Und weil Bücher gelesen
werden wollen wird Schwarz das Lesen Bildthema: Dass Salomon keine Liebesgeschichte
liest, das zeigt die kubistische Welt, in der er liest. Und dass Liselotte in
ein Märchenbuch vertieft ist, bleibt erkennbar in der surrealistischen
Umgebung um sie. Bilder, die Martin Schwarzs Annäherung an das Buch erläutern.
Für unsere Ausstellung ist er noch einige kühne Schritte weiter gegangen:
Das Buch als Gegenstand in den Händen der Lesenden, sein Inhalt als Szenerie
des Lesens. Das Buch wird sein Inhalt. Der Inhalt des Buches wird Welt. Geistreicher
ist uns das Wesen des Lesen s kaum je vor Augen geführt worden.
"Der Leser erlebt ja, wenn er liest, nicht das Lesen, er erlebt das, was
er liest". Ein solcher Satz verlockt Martin Schwarz zur Fortsetzung seiner
Irritationstechnik: Die Leserin wird zur Welle von der sie liest, zum Meer.
Damit kann es Schwarz nicht bewenden lassen. Die Leserin ist die Leserin in
einem Bild von Renoir. Folglich geht die Verwandlung von der Leserin zur Welle
(von der sie liest) im Stile Renoirs vor sich. Da ist nicht nur "die Welt
im Buch" (ein Werbesatz), Schwarz hat eine Formel gefunden um belegen zu
können, dass ein Buch tatsächlich "ein Stück Welt ist".
Die Mutter liest ihren Kindern vor: Wer liest, liest sich ein in die Welt, in
seinen Traum oder in seine Traumrolle. Auch dafür zeigt Ihnen diese Ausstellung
überraschende Beispiele. Den ganzen 2. Stock dieser Ausstellung hat Martin
Schwarz dem Thema "Lesen" gewidmet. Und all den Grenzen, welche die
Lektüre aufzuheben vermag.
Dieser Hang zur Verunsicherung unserer Wahrnehmung und der Ansporn, ihre Funktionstauglichkeit
immer wieder neu zu überprüfen, hat Martin Schwarz‚ künstlerische
Entwicklung von Anfang an begleitet: Irritieren, Imitieren, Variieren als Heilmittel
gegen die Schmerzen der visuellen Reizüberflutung. Dazu ist es wichtig
zu wissen, wie die Irritationsmechanismen in Gang gekommen sind: Die Künstlerlaufbahn
hatte ja mit einer regelrechten "Flucht in die Zeichnung" begonnen.
Weil er schlechte Noten in den Problemfächern mit guten Leistungen auf
anderem Gebiet ausgleichen wollte, stürzte sich der 1946 in Winterthur
geborene Martin Schwarz schon in der Primarschule mit Energie und Begeisterung
ins Zeichnen. Das Lob des Lehrers bestärkte ihn, er zeichnete als Mittel
der Selbstbehauptung. Besessen kopierte er alte Meister, als könne er sich
so ihre Technik einverleiben. Er zeigte mir im Atelier eine erste Bleistiftkopie
der Mona Lisa. Datiert 1961. Zeichnen half dem Schüler auch das häufige
Alleinsein zu überwinden, das entstand weil beide Eltern berufstätig
waren. Zeichnen als Mittel zur jugendlichen Selbstfindung also auch. Selbstfindung
in der Auseinandersetzung mit den andern Malern.
Dann der Schritt in die Irritation, ausgelöst vom Bedürfnis, mehr
als nur "schöne" und "gute" Bilder zu malen. Damit
aus einem Bild ein Kunstwerk werde, braucht es mehr. "Das Bild muss Gedankenfutter
liefern!", sagte sich der junge Martin Schwarz. Und so begann er, seinen
Betrachtern Rätsel aufzugeben. Einige von ihnen gib es hier im 3. Stock
zu lösen. Er variiert bestehende Formen, paraphrasiert überlieferte
Themen, verfremdete Allzubekanntes, auf dass es neu und überraschend werde.
(Wie gesagt: Die Kunst wurde das Thema der Kunst, die er machte. Kunst über
Kunst). Er prüft die Wahrnehmungsfähigkeit unserer Augen und des Gehirn.
Das hat er jahrzehntelang getan, und er tut es noch mit immer neuen überraschenden
Einfällen. Von ihrer Tragweite will unsere Ausstellung hier in der Galerie
Wengihof zeugen.
Ulrich Knellwolf:
Ansprache an der Vernissage zur Ausstellung 'Im Diesseits
der Lebewesen' von Martin Schwarz, am 12. April 2003 in der Galerie des Museum
HR Giger, im Château Saint Germain in Gruyères
Meine Damen und Herren,
Man lässt an einer Vernissage nicht ungestraft einen Theologen reden. Schon
gar nicht an der Vernissage einer Ausstellung mit dem Titel 'Im Diesseits der
Lebewesen'. Sowas ist für unsereinen ein gefundenes Fressen. Dabei muss
es sich der Maler gefallen lassen, dass er vom Theologen eventuell anders interpretiert
wird, als er sich selber versteht. Solches sich gefallen Lassen braucht Demut.
Es ist die Demut des Schöpfers. Seit Gott seine Welt hergestellt hat, kommt
jeder Dreikäsehoch, der noch nicht trocken hinter den Ohren ist, und weiss,
wie man es besser hätte machen können, sollen, müssen. Eventuell
anders interpretieren will jedoch hier nicht heissen: besser. Aber eben anders
- ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit.
Martin Schwarz ist selber Schuld, wenn es ihm so geht. Er provoziert Interpretation.
Denn seine Malerei ist stark literarisch. Nicht zufällig spielt das Buch
unter seinen Objekten eine Hauptrolle. Auch wenn einem die Peinture Eindruck
macht, geht es bei ihm nicht in erster Linie um die Peinture. Es geht um ein
Sehen, das in Worte gefasst werden soll, weil es bedacht werden will.
Meistens scheitert das. So einfach lässt sich das von und in den Bildern
Gesehene nicht in Worte fassen. Sonst würde Martin Schwarz wahrscheinlich
schreiben statt malen. Er schreibt aber malend und, typischerweise, collagierend.
Weil es zu komplex ist, das Gesehene in Worte zu fassen, obwohl er malend dazu
auffordert, es zu versuchen. Und schliesslich soll mindestens das Scheitern
des in Worte Fassens angesichts der Bilder in Worte gefasst und dadurch die
Malerei gerechtfertigt werden.
Was malt und collagiert Martin Schwarz? Zum Beispiel Flugzeuge, die halbwegs
Vögel sind.
Flugzeuge sind keine Vögel. Aber sie werden Vögel genannt, weil sie,
ähnlich wie Vögel, fliegen, wenn auch ganz anders.
Ähnlichkeit und Unähnlichkeit fügt Martin Schwarz zusammen -
und es entsteht ein Vogelflugzeug oder ein Flugzeugvogel.
Zusammenfügung dessen, was ähnlich und zugleich unähnlich ist,
nennt man, wo es in Gedanken, also unsichtbar jedoch denkbar geschieht, eine
Metapher.
Für die Metapher reden die Dinge nicht nur von sich, sondern auch noch
von etwas anderem. Das Flugzeug vom Vogel, der Vogel vom Flugzeug. Diese Rückkopplung
ist ein Charakterzug der Metapher. Sie ist nie eine Einbahnstrasse. Die Einbahnstrasse
wäre die Allegorie.
Die Rückkopplung der Metapher macht Martin Schwarz sichtbar. Damit ist
sein Bild keine Metapher mehr, sondern ein Bild von der Theorie der Metapher.
Es ist gemalte Metaphorologie. Dazu eignet sich das Bild, jedenfalls im Fall
der Metapher, mit seinem Neben- und Ineinander besser als das Wort mit seinem
Nacheinander.
Martin Schwarz stellt aus in der Galerie des Museums HR Giger und zeigt dabei
auch Gemeinschaftswerke mit HR Giger. Typisch, dass er im Rahmen eines andern
auftritt. Er malt ja auch in Bildern anderer Maler. Martin Schwarz ist malerisch
auf den ersten Blick das, was man in der Sprache der Kriminalisten einen Trittbrettfahrer
nennt. Er zecht, mit einem Lieblingsausdruck Ernst Blochs gesagt, auf fremde
Kreide.
Vom gewöhnlichen Trittbrettfahrer unterscheidet ihn freilich, dass er seine
Trittbrettfahrerei deklariert. Bei Licht besehen zechen wir ja alle auf fremde
Kreide, tun aber so, als täten wir's nicht. Martin Schwarz hingegen gibt
es nicht nur zu, er kehrt es so deutlich als möglich heraus - und lehrt
uns damit, dass niemand von uns mit dem Anfang anfängt, wir vielmehr immer
Erben sind.
Martin Schwarz re-agiert also. Damit stellt er sich gegen die Torheit des Originalgenies.
Keiner erfindet die Kunst oder sonst etwas neu und aus dem Nichts. Wir stehen
alleweil auf den Schultern derer, die vor uns waren.
Jedoch ist zu fragen, ob die friedliche Metapher vom Stehen auf den Schultern
der Vorangegangenen die Wahrheit trifft. Ist Geschichte eine harmonische Entwicklung?
Und ist Bildung dankbare Aufnahme und schöpferische Weiterentwicklung von
Traditionen? Ich glaub's nicht. Und Martin Schwarz ist mir ein Zeuge für
meinen Unglauben in dieser Hinsicht.
Nehmen wir sein Bild nach van Goghs Selbstbildnis. Ich zweifle nicht daran,
dass er es am liebsten über das Original von van Goghs Selbstbildnis gemalt
hätte. Damit hätte er van Goghs Bild zerstört und im Zerstören
zugleich aufbewahrt. Am besten sagen wir: er hätte es malend verdaut.
Van Gogh ist, was sein Selbstbildnis betrifft, Zeuger und Gebärerin, Vater
und Mutter zugleich. Die Übermalung ist Verwendung, Verbrauch, Ermordung,
Verzehrung und Verdauung der Väter und Mütter. Kannibalismus, Menschenfresserei
liegt jeglicher Geschichte zugrunde. Die Harmonie des humanistischen Bildungsideals
ist eine weltfremd schönfärberische Lüge.
Martin Schwarz malt die Widerlegung dieser Lüge meistens fast lieblich,
haarscharf der Betulichkeit entlang - unaggressiv und unblutig.. Also ironisch.
Er spielt in gespielt harmloser Weise das Lied vom Auffressen der Eltern durch
die Kinder. Und natürlich gehört dazu, dass die Kinder eines Tages
selbst Eltern sind und Kinder haben. Geschichte heisst: Das Diesseits der Lebewesen
ist geprägt von Menschenfresserei.
Wir glauben es kaum, weil wir ihn mit fürchterlichen Scheuklappen lesen,
aber davon hat in der Literatur weit und breit keiner so unheimlich geschrieben
wie Jeremias Gotthelf, den wir mit unserem beschränkten Horizont zum Lebkuchenbäcker
machen. Er ertrug das schreckliche Geschichtsgesetz der Menschenfresserei nur
im Hinblick auf das Abendmahl, das uns als Kannibalen definiert und uns den
Schöpfer selbst zu essen und zu trinken gibt, wodurch dieser das Gesetz
des Fressens und Gefressenwerdens in Erfüllung des Gesetzes der Liebe bricht.
Der Titel der Ausstellung ruft nach ergänzender Entgegensetzung. Denn wer
'Diesseits' sagt, provoziert mit dem Wort selbst den Gedanken ans Jenseits.
Nur angesichts des Jenseits ist das Diesseits diesseitig. Wir aber sind neugierig
und wollen hinter jede Wand schauen.
Wie könnte die Entgegensetzung von 'Im Diesseits der Lebenswesen' lauten?
Am entgegengesetztesten so: "Im Jenseits des Todesunwesens".
Nun ist aber erst recht vorauszusetzen,, dass Martin Schwarz Ironie im Sinn
hat, wenn er einen Titel so überzogen feierlich daherkommen lässt.
Dass er, wie malerisch so auch sprachlich übermalt. Und das hiesse dann,
dass im Diesseits der Lebewesen keineswegs nur das Leben lebendig und das Jenseits
des Todesunwesens nicht nur jenseitig ist. Dass der Maler vielmehr den Finger
auf die Anwesenheit des Todesunwesens im Diesseits der Lebewesen hält.
Schon die Entstehung vieler seiner Bilder als Verdauung von Bildern anderer
zeigt ja, dass es sich um ein stark von dem Todesunwesen geprägtes diesseitiges
Lebewesen handelt. Vorhin nannte ich es Menschenfresserei.
Und das Jenseits, es wäre dann das Jenseits des im Diesseits die Lebewesen
verschlingenden Todesunwesens, also ein diesseitig werdendes Lebewesen, in dem
das Leben nicht mehr vom Todesunwesen geprägt wäre. Ich bin versucht,
von einer christologischen Dimension dieser Bilder zu reden.
Grund zur Hoffnung auf das diesseitig werdende Lebewesen geben jedenfalls wiederum
die Bilder selbst. Dann nämlich, wenn sie gelingen. Also wenn im van Gogh-Bild
die Kommunikation zwischen van Gogh und Martin Schwarz nicht in Mord und Totschlag
endet, sondern so, dass Vincent van Gogh von Martin Schwarz und Martin Schwarz
von Vincent van Gogh so verstanden ist, dass van Gogh sich willig hergibt und
Martin Schwarz dankbar nimmt um wieder herzugeben, an uns Beschauer. Das kann
nie ganz klappen, solang das Lebewesen noch nicht ganz diesseitig ist. Aber
Anzeichen dafür, dass es werden will, sind die Bilder von Martin Schwarz.
Peter Killer:
Name: Martin Schwarz – Beruf: Veränderer
Es ist, wie es ist. Zur Tagesordnung kann man übergehen.
Genau wie früher. Was gang und gäbe ist. Sich Gewohnheiten überlassen.
Altbewährtes hochhalten. Nur dem vertrauen, was die eigenen Augen sehen.
Sicher bleibt sicher. Was gut war, wird gut bleiben. Ein für alle Mal.
– Nicht so bei Martin Schwarz.
Eigentlich müsste Martin Schwarz als Berufsbezeichnung «Veränderer»
angeben. Für ihn ist nichts wie es ist, er geht nie einfach so zur Tagesordnung
über, lässt nichts beim Alten, misstraut dem, was gang und gäbe
ist, glaubt ans Unsichere mehr als ans Sichere. Hält sich an Heraklit:
Alles fliesst.
Wer dem Winterthurer Künstler begegnet, nur sein Äusseres wahrnimmt,
würde in ihm nicht die verspielte Persönlichkeit vermuten, die fast
allem, was sie sieht, neue Bedeutungen und Formen geben kann, die griesgrämige
Objekte in ein übermütiges Travestiespiel zu verwickeln vermag. Er
erinnert an die grossen Clowns, oder an Buster Keaton, bei denen Ernst und Unernst
in einer Seele verschmolzen waren.
Als ich ihn aufs Jahr genau vor dreissig Jahren kennen lernte, arbeitete er,
Nomen est omen, fast ausschliesslich mit der Farbe Schwarz. Schwarz gilt –
zumindest in der westlichen Kultur – als traurige, ernste Farbe, als Unfarbe.
Der homo ludens hat mit Textbildern die triste Farbe zum Lächeln und Lachen
gebracht, den undynamischsten Farbwert zum Leben erweckt.
Man kann Martin Schwarz in die Tradition der Dadaisten und ihrer surrealistischen
Nachfolger einordnen, oder den Fluxus-Künstlern zugesellen. Man könnte,
wenn da nicht ein sehr ausgeprägtes Charaktermerkmal wäre. Seine Kunst
will uns immer verunsichern, aber sie verletzt keine Tabus. Er will weder neodadaistischer
Bürgerschreck sein, noch wie die Surrealisten moralische Regeln attackieren,
er zerhackt auf der Bühne keine teuren Pianos, wie das die Fluxus-Leute
taten. Die eigene individuelle Freiheit ist ihm zu kostbar, als dass er die
individuelle Freiheit der andern angreifen würde.
Das Wort «Moralist» bringt man mit Begriffen wie «Moralprediger»,
«Philister», «Besserwisser» in Verbindung. Sinngemäss
bezeichnet es aber eine Person, die sich für die Aufrechterhaltung von
Normen und Werten einsetzt. Sinngemäss ist Martin Schwarz sehr wohl ein
Moralist. – Hans-Jürgen Seemann hat 1992 ein hochinteressantes Buch
mit dem Titel «Copy - Auf dem Weg in die Reprokultur» veröffentlicht.
Im Gegensatz zu Walter Benjamin («Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit», 1936) glaubt Seemann, das die Vervielfältigung
die Aura eines Kunstwerkes nicht zerstört, sondern erst entstehen lässt.
Oder vereinfacht gesagt, die Mona Lisa ist nicht «einzigartig» weil
sie einzigartig ist, sondern weil sie milliardenfach reproduziert worden ist.
Wer im Louvre die Mona Lisa finden will, muss sich am Eingang nur dem Besucherhauptstrom
anschliessen und gelangt unweigerlich ans Ziel. Die Motivation zum langen Marsch
durch die Museumssäle ist für die Mehrzahl einzig die Bekanntheit
der Gioconda; man will den «Star» live gesehen haben. Was man schon
von Abbildungen zur Genüge kennt, langweilt nicht, sondern zieht an. Kulturmanager
und ihre Kassenwarte mögen dieses Phänomen. Leidtragende sind dabei
nur die Kunstwerke selber. Sie werden bestaunt, begafft, aber nicht mehr im
Sinn einer aktiven Auseinandersetzung betrachtet.
Der Moralist Martin Schwarz liebt Kunstwerke. Fremde vielleicht noch mehr als
seine eigenen (deshalb – wie seine Kunstkammer im Schloss Bartenstein
zeigt – ist er auch ein leidenschaftlicher Sammler). Er erweckt zu Tode
reproduzierte Kunstwerke zu neuem Leben, weist uns durch sein Verfremdungen
auf ihr Lebenspotential hin. Er versucht nichts weniger als im Kunstwerk den
Kunstwert zu retten, wohlwissend, dass horrende Versicherungssummen oft im grössten
Widerspruch zum verbanalisierten geistigen Wert stehen.
Martin Schwarz sieht sich Bilder genau an. Besser als die meisten Kunstfreunde.
Aus der intensiven Auseinandersetzung entstehen seine Interpretationen, die
uns ohne schulmeisterliche Allüre lehren, besser zu sehen, Zusammenhänge
zu erkennen. Was unsere Augen eingelullt haben, dem gibt er die Radikalität
zurück.
In Bertolt Brechts «Geschichten vom Herrn Keuner» gibt es die wunderschöne
Notiz:
Wenn Herr K. einen Menschen liebte
«Was tun Sie» wurde Herr K. gefragt, «wenn Sie einen Menschen
lieben?» «Ich mache einen Entwurf von ihm», sagte Herr K.,
«und sorge, dass er ihm ähnlich wird.» «Wer? Der Entwurf?»
«Nein», sagte Herr K., «der Mensch». – Brecht
wollte Menschen verändern, die er liebte. Martin Schwarz verändert
Bilder, die er liebt.
Den echten Moralisten geht es um echte Werte. Die Verwirrspiele des Martin Schwarz
führen zum Echten zurück. Eine unumstössliche Wahrheit ist der
Tod. So kommt es nicht von ungefähr, wenn Martin Schwarz eine ganze Reihe
von Bildern zum Thema des Grabes, des Künstlergrabes gemalt hat. Mit dem
nötigen Ernst. Hier verbietet sich der Künstler seine skurrilen Einfälle,
da lässt er Witz und Ironie beiseite.
Die Ausstellung des Kunstvereins Olten zeigt nicht nur die Gemäldemetamorphosen,
die Martin Schwarz berühmt gemacht haben, sie versammelt auch ein Reihe
seiner phantastischen Bücher. Alljährlich wird ein Vielfaches mehr
Bücher produziert als gelesen. Die Konsumgesellschaft hat Bücher zu
Wegwerferzeugnissen degradiert. Die Zeiten, in denen Neureichs Buchattrappen
kauften, um sich den Anschein der Belesenheit zu geben, sind längst vorbei.
Design your life: In heutigen Lifestyle-Wohnungen sieht man keine Büchergestelle
mehr. Offensichtlich haben Bücher wie Bilder an Aura verloren. Martin Schwarz
gibt den Büchern ihr Wunderbares wieder zurück, eröffnet uns
Wunderwelten, wie sie Kinder und leidenschaftliche Leser auch zwischen ganz
gewöhnlichen Buchdeckeln entdecken.
Die Oltner Kunstfreunde kennen das Schaffen von Martin Schwarz u.a. durch seine
digitalen Postkartenmontagen (Kunstmuseum Olten, 2001; Oltner Neujahrsblätter
2002). Der Künstler hat sich immer wieder mit trivialen Bilddokumenten
beschäftigt (zum Beispiel auch mit anonymen, im Brockhaus gefundenen Sonntagsmalereien).
Auf witzige Art greift er ins Sonntagsgesicht der Postkartenwelt ein und gibt
uns damit die Möglichkeit, Vertrautes neu zu sehen. «Kunst ist dazu
da, den Staub des Alltags von der Seele zu waschen. Sie soll Begeisterung wecken,
denn Begeisterung ist das, was wir am meisten benötigen - wir und die jüngeren
Generationen», sagte Picasso. Recht gibt ihm Martin Schwarz.
Gabriele Bono:
Olten – Der Kunstverein zeigt im Stadthaus
den schöpferischen Ideenreichtum des Künstlers Martin Schwarz
Martin Schwarz ist ein experimentierfreudiger Hinterfrager, ein einfallsreicher
Bedeutungssucher, ein lust- und fantasievoller Verwandler. Von seinem grossen
schöpferischen Ideenreichtum zeugen seine Werke, die er auf Einladung des
Kunstvereins Olten in den Ausstellungsräumen im Stadthaus Olten zeigt.
Der gelernte Grafiker Martin Schwarz, 1946 in Winterthur geboren, arbeitet seit
1968 als freischaffender Künstler. In seinen Bildern und seinen Objekten
reflektiert er Prozesse und Formen von Verwandlung. Er tut es virtuos mit den
Mitteln digitaler Computertechnik in seinen Postkartenmontagen, handwerklich
meisterhaft in seinen geheimnisvollen skulpturalen Buchobjekten, mit überzeugendem
Können beim Eintauchen in die Bildwelten und Bildsprachen bekannter Meisterwerke
der Kunstgeschichte, die er verändert, auf oft überraschend neue Aussage
hin weiterdenkt und -malt.
Digitale Visionen einer veränderten Welt
Inspiriert von der Farbigkeit und Form des trivialen Massenproduktes Postkarte
zeigt Martin Schwarz im ersten Raum in grossflächigen Montagen seine "Postkartenbilder".
In einem variationsreichen Spiel imaginiert er Wirklichkeiten, die Realität
und Surrealität vermischen, die die vertrauten Ordnungen von Ort und Zeit
ausser Kraft setzen, räumlich Getrenntes vereinen, Grössenverhältnisse
negieren. So werden zum Beispiel in der Serie "Schwarze Nichts" gefüllte
Sportstadien zu Raumkörpern, die sich ins pechschwarze Nichts katapultieren,
der Canale Grande mit seinen Gondolieren hat einen alles überflutenden
Auftritt auf grosser Bühne, ein Südseefisch bewegt sich vertraut neben
einem ihm ähnlich sehenden Airbus, die kleine Meerjungfrau betrachtet die
Niagarafälle, das Matterhorn durchreist die unterschiedlichsten Klima-
und Landschaftszonen. Verspiegelte Überblendungen verbinden sich zu Farbflächen
von zauberhafter Schönheit. Es ist ein visuelles Vergnügen, den Visionen
von Martin Schwarz zu folgen, die staunen machen, amüsieren, irritieren,
nachdenklich stimmen.
Faszination des Lesens
Im mittleren Raum umkreisen Buchobjekte und ihnen zugeordnete Bilder die Faszination
des Lesens. Lesen eröffnet der Fantasie weite, unbegrenzte Räume.
Der Künstler pointiert es in zwei vierteiligen Bildreihen. Er verwandelt
eine lesende Frau, gemalt nach Renoir, im Verlauf einer dreistufigen Metamorphose
in ein Landschaftsbild, lässt ihren roten Mund als rote Blume am Weg blühen,
die dunklen Linien ihrer Lider sich wie Vögel in die Weite des Himmels
schwingen. Analog löst er ein lesendes Mädchen nahezu spurlos auf
in Meereswogen und Wolkenberge unter einer hohen Himmelskuppel.
In seiner "Bibliothek der verwandelten Bücher" führt Martin
Schwarz die wundersamen Transformationsprozesse weiter. Bücher, die auf
den ersten Blick wie alte klösterliche Buchbestände anmuten, hat er
in steinartig wirkende Skulpturen umgeformt, lässt sie mit wunderlichen
Dingen symbiotisch verwachsen, mit Nautilusschnecken und Meerestulpen, denen
sie sich in Farben und Ausformungen angleichen, mit kristallinen Gebilden, die
eruptiv aus ihnen hervorbrechen, mit Achatscheiben, deren Maserungen sich farblich
und formal in den Auffaltungen der Seiten wiederholen, mit zersplittertem Holz,
das aus einem geöffneten Buch herauswächst, mit feinen rot-goldenen
Spitzen, deren üppige Faltungen die Kostbarkeit alter Kirchenbücher
evozieren. Die Fülle kreativer Ideen ist überwältigend, die Fülle
an Büchern auch, was die Wirkung des einzelnen etwas beeinträchtigt.
Interventionen an klassischen Meisterwerken
Im letzten Saal wird zum Hauptthema, was schon im hinteren Teil des mittleren
Raums zu sehen ist: des Künstlers eigenwillige Fortschreibungen und überraschende
Veränderungen von berühmten, häufig reproduzierten Gemälden
der Kunstgeschichte, die man wahrnimmt, ohne sie weiter richtig anzuschauen.
Martin Schwarz zwingt zum genauen Hin-schauen. Ironisierend stellt er künstlerische
Entscheidungen zur Diskussion: "Könnte es nicht auch so gewesen sein?"
Er schliesst diskret die Tür, durch die ein holländischer Meister
lockende Weiblichkeit zeigt, er zieht eine Portiere weiter zu und entzieht damit
einen weiblichen Rückenakt neugierigen Blicken. Seine Eingriffe verweben
oft Vordergründiges und Hintergründiges. Sie treffen manchmal rasche
Entscheide, legen, wie mit einer Handbewegung Breughels karnevaleskes Menschengewimmel
vom Platz, die schöne Maya von ihren seidenen Kissen. Manchmal verändern
sie prozessual und lassen durch die in "Leserichtung" gehängten
Bilder den Betrachter an den stufenweisen Metamorphosen teilhaben, wie bei der
Verwandlung von Picassos abstraktem Mädchenbildnis zurück zur Natürlichkeit.
Martin Schwarz zitiert und imitiert mit handwerklicher Perfektion, verändert
van Gogh, Picasso, Magritte, Klee, Kandinsky, Feininger und Caspar David Friedrich
zu neuen Aussagen, zu neuen Farb- und Formvarianten. Durch seine Interventionen
ermuntert er den Betrachter zum genauen Hinsehen, animiert zum Entdecken von
versteckten und offenen Anspielungen oder einfach zum Staunen.
Dr. Siegfried Wagner (Nietzsche-Haus Naumburg):
Das war einmal: In einer Welt ohne Bilder verliehen
seltene und kostbare Illustrationen – als Buchmalerei, als Steinmetzarbeit
– dunklen, schwerbegreifbaren Gedanken Gestalt, formten aus abstrakten
Wesen konkrete Erscheinungen und gaben fremdländischen Namen sichtbare
Körper. Vergangenheit. Die Gegenwart aber ertrinkt in Bildern, die sich
als Medium der Aufklärung verstehen wollen und doch nur die Phantasie ersticken.
Unablässig und grell schreien sie von Litfasssäulen, aus dem Fernseher,
aus Illustrierten, aus Katalogen, aus Büchern. Dass die Computertechnik
sie in unendlicher Zahl allzeit und überall bereit hält, gilt als
Fortschritt. Die Illustration "erhellt" dem Wortsinn nach den sprachlichen
Ausdruck, indem sie diesen wie mit einem Blitzlicht beleuchtet und stillstehen
lässt, wobei sie sowohl das Vor- und Nachleben des Gedankens als auch seine
Schattenseiten wenn nicht ignorieren, so doch zurücktreten lassen muss.
Illustration ist daher immer Reduktion. Aber sie ist banal, wenn sie nur Reduktion
ist; denn in ihrem Vermögen liegt mehr: Sie kann "erläutern,
ergänzen, schmücken oder instruieren", sagt das Lexikon. Sie
kann aber auch assoziieren, abschweifen, verfremden, verstören. Das ist
die andere Art der Illustration, um die es Martin Schwarz in seiner Auseinandersetzung
mit Nietzsche geht. Er ist kein Analytiker. Er versucht nicht, aus Nietzsche-Texten
Piktogramme zu destillieren und diese als Schaubilder zusammenzusetzen. Er versucht
nicht, philosophischer zu sein, als Nietzsche, der Literat. Was viele an Nietzsche
verzweifeln lässt, ist das Uneindeutige, die Offenheit seiner Texte, die
Lücken, die er dem Leser bietet, sie zu füllen. Martin Schwarz aber
nimmt diese Einladung an, lässt sich ein auf das Ambivalente, das in sich
Kontradiktische. Er hat Nietzsches Texte nach Aussagen zur Dingwelt durchforstet,
weil Ihn interessierte, wie dieser, als "Zerstörer" verschrieen,
sich einem erschliesst, der nach Schöpfungskraft sucht. Und wie Nietzsche
kunstvoll die Perspektiven wechselt, um zu neuen Einsichten zu gelangen, wie
er gedankliche Purzelbäume schlägt, um sich widersprechenden Wahrheiten
zu ihrem Recht zu verhelfen, so geht auch Martin Schwarz mit seiltänzerischer
Leichtigkeit zu Werke, um zu Nietzsches Gedanken "andere" Illustrationen
zu finden, die nichts mit "Abbildern" zu tun haben, sonder eigene,
kongeniale Kunstwerke sind. Und gerade im formalen Korsett der naivsten und
verbrauchtesten aller Abbilder, der bunten Ansichtskarten nämlich, gewinnen
seine verblüffenden und verwirrenden Visionen eine erstaunliche Eindringlichkeit:
Grüsse aus der Welt hinter den Dingen, "Postkartenmontagen",
wie er selber sagt, "als Botschaften aus dem Land der Philosophen und Träumenden..."
Manfred Kiesel:
Martin Schwarz und seine Kunstkammer im Schloss Bartenstein
Zweitausend Jahre Christentum ist für den vielseitigen
Ideenkünstler Martin Schwarz ein Ereignis, das zum Nachdenken, zu einer
Rück- und Vorschau über den Umgang mit der Religiosität einlädt.
Es sind aber nicht in erster Linie die historischen und auch künstlerisch
analysierungswürdigen Hochs und Tiefs im Verlauf des Christentums, die
Martin Schwarz an dieser Auseinandersetzung reizen, sondern die ureigene Erfahrung,
sich ganz und sehr individuell den eigenen Inspirationen in Sachen Glauben zu
öffnen. Er stellte seine Ausstellung unter den Titel
"Gegensätzliche Inspirationen nach anno domini 2000 und nach Friedrich
Nietzsche"
Gemälde, Objekte, Collagen und digitale Bildmontagen
Inspiration bedeutet unter anderem Eingebung, Erleuchtung, Begeisterung, Einfall.
Der Ausstellungs- und Arbeitstitel "Gegensätzliche Inspirationen"
eröffnet damit ein grosses, stellenweise auch extremes Spannungsfeld. Begeisterung,
Einfälle für und gleichzeitig gegen etwas. Nietzsche Zitate über
"Dinge" werden aufgegriffen und in Form von Collagen, Text-Bild und
Text-Objekt Kombinationen bildnerisch umgesetzt. Es geht also auch um seltsame
Dinge, die sich nicht genau bestimmen lassen und damit auch Parallelelen zu
Glaubensdingen aufweisen können.
"Wir fürchten uns nicht vor der Kehrseite der guten Dinge (wir suchen
sie, wir sind tapfer und neugierig genug dazu)" F. Nietzsche.
Der Schaukasten "Tina Ramses" mit sehr unterschiedlichen Objekten
gibt dem Betrachter zunächst einige Rätsel auf. Ramses als ägyptischer
Gottkönig des Lichts ist zwar bekannt, aber ist der Vorname Tina nicht
schon ein Widerspruch in sich? Vielleicht lässt sich diese Namenskombination
mit dem Vor- und Nachnamen des Künstlers Martin Schwarz in Verbindung bringen?
Wenn ja, in welche? Welche Tendenzen zeichnen sich in den verschiedenen Objekten
ab?
Farbwirkungen auf neue Umsetzungs- und Kompositionsmöglichkeiten, auf neue
Inszenierungen und Inspirationen hin.
Bei der Arbeit "Geburt Christi" nach Rembrandt lösen sich die
oben streng geordneten Farbfelder nach unten langsam auf und geben so fragmentarisch
den Blick auf das ursprüngliche Bild frei.
Im Kontrast zu diesen modernen künstlerischen Umsetzungs- und Bearbeitungsmöglichkeiten
stösst man bei den Buchobjekten und den reliefplastischen Arbeiten auf
traditionelles handwerklich-künstlerisches Können. Für seine
hervorragenden Buchobjekte bekannt, vermittelt Martin Schwarz auch in diesem
religiösen Bereich besondere Bezüge zum "Ausgangsmaterial"
Buch. Materialien, beziehungsweise Objekte werden zusammen mit meist antiquarischen
Büchern, Leim, Kleister, Papiermaché, Farbe, speziellen Baustoffen
und ausgewählten Objekten und Materialien zu besonderen Buchobjekten kombiniert.
Umrahmt von Bibeln aus aller Welt fällt ein ganz in hellem Blau gefasstes
Buchobjekt auf. Der gekreuzigte Jesus, symbolisch vom Kreuz befreit aber immer
noch in der bekannten Leidenshaltung verharrend, bildet den optischen Anziehungspunkt
des aufgeschlagenen Buches. Ein vieldeutiges Arrangement, das durch die vereinheitlichende
Farbgebung ästhetische und religiöse Funktionen in sich vereint.
In den Fensternischen hängen fünf Bilder mit einem ganz eigenen Reiz
und mit besonderer Ausdrucksqualität. "Relikte religiöser Träume"
nennt sie Martin Schwarz. Die Farbe wurde sehr pastos auf die Leinwände
aufgetragen, zu Teil wurden fragmentarische biblische Szenen aus Fresken oder
anderen Abbildungen übernommen. Die Bildsituation wird aber nicht durch
abbildhafte Szenen, sondern durch Farb-Formen und Farbkombinationen bestimmt.
Den besonderen Ein- und Ausdruck erhielten die Bilder durch einen Überzug
mit Giessharz. Ganz zufällig kann man in den Giesspuren abbildhafte Figuren
deuten.
Ich gebe nicht Sichtbares wieder, sondern ich mache Dinge sichtbar, sagte einstmals
Paul Klee. Das trifft auch auf die Arbeiten von Martin Schwarz zu. Er ist ein
sensibler und wachsamer Mensch, der künstlerisch agiert und reagiert und
seine Dinge sichtbar macht. Er ist offen für alle menschlichen Belange,
unabhängig, ob es um Religiöse, Philosophisches, Künstlerisches,
Soziales, die Natur, die von Menschen geschaffene Umwelt, kleine Episoden oder
Weltereignisse geht. Ernstes und humorvolles, spontanes und wohlüberlegtes,
experimentelles und handwerklich perfektes Vorgehen zeichnen seine Arbeiten
aus.
Lucia Cavegn:
Rede zur Eröffnung der Ausstellung im Kirchgemeindehaus Oberwinterthur
Sehr geehrte Damen und Herren
Viele von Ihnen kennen das Schaffen von Martin Schwarz sehr gut, kennen seine
Buchobjekte, seine humorvollen Postkartenserien und seine Variationen nach Gemälden
der klassischen Moderne.
All diese Werke haben eines gemeinsam: sie gehen von einer bekannten Tatsache
aus; sei dies eine klischehafte Ortsansicht (z.B. Zermatt mit dem Matterhorn),
ein bekannter, alltäglicher Gegenstand wie das Buch, oder Werke berühmter
Maler.
Eigentlich wissen wir worum es geht: das Matterhorn gehört zu Zermatt,
ein Buch besteht aus Papierblättern zwischen zwei Deckeln, und auch einen
van Gogh erkennen wir ohne Schwierigkeiten aufgrund des Sujets und des Pinselstriches.
Wir glauben, diese Dinge so gut zu kennen, dass wir sie gar nicht mehr genau
betrachten. Wir besitzen in unserm Kopf bereits eine Vorstellung von diesen
Dingen, kennen deren wesentliche Merkmale.
Dieses Gewohnheitssehen wird durch die Werke von Martin Schwarz irritiert. Um
unsere Sehgewohnheiten zu durchbrechen, bedient sich Martin Schwarz der Assemblage
bzw. der Collage. Er fügt Alltägliches, Allgemeinbekanntes (Gegenstände
und Bilder) zusammen, wobei das Werk so verarbeitet ist, dass man keine Naht,
keine Brüche erkenne kann, der Übergang ist fliessend. Aus dem Zusammenfügen
ist ein eigenständiges Objekt oder Bild entstanden, ein Hybrid (Kreuzung,
Mischung, Bastard). Aus der Verbindung eines Buches und einer Muschel entstand
z.B. das "Muschelbuch". Auf der Postkarte "Ankunft am Hauptbahnhof
Zürich" sehen wir eine Karawane vor dem HB Zürich vorbeiziehen.
Das Spezielle an diesen Hybriden ist, dass sie täuschend echt aussehen.
Man kann diese Hybriden auch als Phänomene bezeichnen. Gemäss Fremdwörterduden
bedeutet dieses Wort Etwas, was als Erscheinungsform auffällt, ungewöhnlich
ist; dann aber auch: der sich der Erkenntnis darbietende Bewusstseinsinhalt.
Phänomene dienen demnach dem Gewinn an Erkenntnis. Und tatsächlich
ist es ja so, dass die Hybride von Martin Schwarz uns stutzig machen. Wir sagen
uns: "He, da stimmt etwas nicht", und wir schauen genauer hin. Was
wir bisher nur mit unserem Gewohnheitsblick gewürdigt haben, schauen wir
genauer an und wir entdecken da und dort einen versteckten Sinn oder wir werden
uns unserer Klischees und vorgefassten Betrachtungsweisen bewusst. Martin Schwarz
hilft uns, Alltägliches mit neuen Augen zu sehen.
So ist es auch mit den Bildern in dieser Ausstellung "Neue Bilder einer
imaginären Kunstgeschichte". Ausgangspunkt zu diesen Arbeiten war
die grundlegende Frage, "Was wäre gewesen, wenn... Monet, van Gogh,
Picasso und Cézanne in und um Winterthur gewirkt hätten?
Im Prinzip fügt Martin Schwarz auch in diesen Bildern zwei Realitäten
(tatsächliche Gegebenheiten) zusammen, die wir – jede für sich
genommen – gut kennen. Die eine Realität ist die Malerei berühmter
Künstler, die wir anhand ihrer künstlerischen Ausdrucksmittel, dem
Pinselstrich und ihrer Farbpalette wiedererkennen. Die andere Realität
ist die Gegend von Winterthur, welche den meisten von uns aus der täglichen
Erfahrung bekannt ist.
Betrachten wir nun eines dieser "was wäre wenn"-Bilder, so denken
wir sofort, dass das Bild z.B. wie ein Monet aussieht, zugleich sind wir irritiert
und merken, dass es sich nicht um ein für Monet typisches Sujet handelt,
wir schauen genauer hin und erkennen plötzlich die uns vertraute Umgebung
von Winterthur wieder. Das Aha-Erlebnis wird also durch den Verfremdungseffekt
hervorgerufen; die ungewohnte und "unrealistische" Kombination zweier
Gegebenheiten hat unsere Neugierde geweckt und wir beginnen nachzudenken.
Die Bilder sind nicht einfach eine Nachahmung im Stile eines berühmten
Künstlers, sondern sie sind eigentliche Sehhilfen, die zu einer neue Sichtweise
führen können. Martin Schwarz hat mit diesen Bildern Übersetzungsarbeit
geleistet; durch seine Bilder sehen wir die Gegend von Winterthur durch die
"Monet-Brille", das heisst, dass wir die Gegend mit neuen Augen betrachten
und bewusster hinsehen.
Zudem beginnen wir zu überlegen, was denn die persönliche Handschrift
eines Monets oder eines van Goghs ausmacht.
Sicherlich ist es auch Martin Schwarz nicht möglich, die Malweise der Künstler
bis ins letzte Detail zu imitieren, das ist nicht sein Anspruch (es geht ja
nicht darum, Bilder zu fälschen). Aber die Bilder von Martin schwarz verwenden
typische Eigenheiten der jeweiligen Künstlerhandschriften, machen sie augenfällig
und öffnen dadurch unsere Augen für den nächsten Museumsbesuch.
Denn Hand aufs Herz, ist es nicht so, dass wir die Werke berühmter Maler
manchmal gar nicht mehr genau betrachten, weil wir glauben, sie schon zu kennen.
Dank Sehgewohnheit können wir im Alltag Dinge rasch wiedererkennen. Die
flüchtige und schematisch Wahrnehmung lässt uns aber vieles übersehen.
Wenn aber aus dem Sehen ein ruhiges Betrachten wird, ist sinnliche Wahrnehmung
möglich. Und erst die Wahrnehmung führt zum Begreifen und Verstehen.
Deshalb sind im Französischen die Wörter "apercevoir" (erblicken,
sehen) und "concevoir" (entwerfen, begreifen, verstehen) einander
verwandt, beides hat miteinander zu tun. Ich hoffe, dass diese Ausstellung (für
Sie) zu einer Entdeckungsreise in diesem Sinne wird.
Giorgio Morandi: die eigene künstlerische Sprache anhand eines beschränkten
Gegenstandrepertoirs entwickeln. Konzentration auf weniges. Um das Wesentliche
zu entdecken, muss man nicht in die Ferne schweifen.
Martin Kraft:
Schwarz, Martin, *10.8.1946, Winterthur.
Maler-, Konzept- und Objektkünstler sowie Fotograf.
Collage und Computermontage. Auch als Verleger und Ausstellungsmacher tätig.
1963-67 lässt sich Martin Schwarz bei Holzschneider Heinz Keller in Winterthur
zum Handlithografen und Grafiker ausbilden. Gleichzeitig Besuch der Kunstgewerbeschule
Zürich und erst Ölbilder und Zeichnungen. 1967 Arbeit in einem grafischen
Atelier. Ab 1968 freischaffender Künstler; erste Einzelausstellung mit
abstrakten Bildern in der Keller-Galerie Winterthur. 1969 kinetische Objekte
und elektronische Installationen. 1972 Stipendium Kiefer-Hablitzel-Stiftung,
1973 erstes von drei Eidgenössischen Kunststipendien und Wiederaufnahme
der Malerei. Den Schaffensschwerpunkt bilden bald Collagen und übermalte
Farbdrucke populärer Meisterwerke, die 1978 an der Einzelausstellung im
Württembergischen Kunstverein in Stuttgart gezeigt werden. 1977 Zweitatelier
in Köln, das 1982-83 auch als Galerie genutzt wird. Kunstpreis Forum Junger
Kunst und Teilnahme an der Documenta 6 in Kassel. Seit 1980 entstehen Postkarten-Collagen.
Die bildnerische Auseinandersetzung mit Gottfried Keller bildet 1981 den Schwerpunkt
der Ausstellung im Kunsthaus Zürich, Herausgabe des Katalogs im selbstgegründeten
EigenArt Verlag. Die grossformatigen übermalten Fotocollagen von 1982 mit
apokalyptischer Thematik münden 1984 in Gemeinschaftswerke mit H. R. Giger.
1983 Veränderung von Bildern von Sonntagsmalern, mit literarischen Interpretationen
in einem Buch reproduziert und in der Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur
gezeigt. 1985 Zweitatelier im Schloss Schwarzenbach wo Schwarz auch Ausstellungen
organisiert. 1986-87 Schriftbilder zum Thema Nichts und Buchobjekte. 1988 Zweitatelier
im Schloss Bartenstein, hier 1994 Eröffnung der Dauerausstellung Kunstkammer.
Variationen von Bildern der Klassischen Moderne mit Schwerpunkt auf Vincent
van Gogh. Seit 1990 fantastische Objekte und Bilder, ab 1994 auch Computermontagen.
1994 richtet er im Nietzsche-Haus in Sils Maria nach mehreren Studienaufenthalten
eine Ausstellung ein.
Nach experimentell-avantgardistischen Anfängen beschäftigt sich Martin
Schwarz intensiv mit Schopenhauer und der deutschen Romantik. Eine melancholisch-nihilistische
Phase führt zur später wiederkehrenden Thematik des Verschwindens
und des Nichts und zur Auseinandersetzung mit der Farbe Schwarz. Kunst über
Kunst wird zentraler Aspekt eines intensiv reflektierten Schaffens, das sich
in geschlossenen Werkgruppen verdichtet und immer wieder an Früheres anknüpft.
Übermalungen populärer Meisterwerke gelten lange als Markenzeichen
des Künstlers. Während er hier seine Retuschen perfekt der gedruckten
Vorlage anpasst, eignet er sich später den Malduktus der Klassiker der
Moderne an, aus deren Geist heraus er ihre verlorengegangenen oder nie verwirklichten
Werke realisiert.
Die Interaktion kulturgeschichtlicher Reflexion und künstlerischer Praxis
kulminiert in der Auseinandersetzung mit Gottfried Keller, ausgehend von dessen
visionären Beschreibungen abstrakter und konkreter Kunst im Grünen
Heinrich. Die Idee, den Inhalt eines Buches plastisch aus diesem herauswachsen
zu sehen, lässt die ersten Buchobjekte entstehen. Anderseits führt
das wahrnehmungskritische Spiel mit dem Bild als Massenprodukt zur Manipulation
von Ansichtskarten, in (ihrerseits wieder reproduzierten) Collagen zu Themen
wie Mein Kölner Dom oder Exotische Welten - Europäische Phantasien,
später mit Hilfe des Computers, der auch für grössere Formate
eingesetzt wird. Als Gegenpol zum konzeptuell-kulturkritischen Ansatz dieses
Schaffens bleibt das Handwerkliche unvermindert wichtig: Mit der skurrilen Fantastik
der Bilder und Objekte der 90er Jahre reagiert Martin Schwarz auf die Welt des
Barock, die ihn an seinem Arbeitsort in Deutschland umgibt.
Werke: Kunstmuseum Winterthur, Wolfsburg, Städtische Galerie; Sils Maria,
Nietzsche-Haus; Baden-Dättwil, Forschungszentrum der Brown Boveri; Winterthur,
Hallenbad; Zürich, Universität Zürich-Irchel, Bibliothek; Zürich,
Deckengestaltung im Zoologischen Museum.
Eigene Schriften: Martin Schwarz: Dokumentation. Winterthur, 1975.
Literatur: Martin Schwarz, Bilder + Objekte 1986-1989. Leinfelden-Echterdingen,
städtische Galerie Filderhalle, 1989. [Texte:] Wolfgang Rainer [et al.].
Winterthur: EigenArt, 1989 [Bibliografie, Ausstellungsverzeichnis]. Martin Schwarz,
Sonntagsmalerei mit Fallgruben. Eine Anthologie zu veränderten Bildern.
Winterthur: EigenArt, 1984. Martin Schwarz, Am Rande der Kunst. Kunsthaus Zürich,
1981; Artothek der Stadt Köln, 1982. Winterthur: EigenArt, 1981. Martin
Schwarz, Stuttgart, Kunstgebäude am Schlossplatz, 1978.
Peter André Bloch:
Martin Schwarz und sein Traum von der Überwindung
von Raum und Zeit durch die Kunst
Martin Schwarz ist einer bedeutendesten Vertreter der
Schweizer Postmoderne. In seinem Werk spiegelt sich in unverkennbarer Meisterschaft
deren Versuch, die Grenzen von Raum und Zeit zu überwinden, im Hinblick
auf eine ganz neu zu schaffende Wirklichkeit, mit je eigenen Perspektiven und
Dimensionen. Ihn interessieren Übergänge: die unsere Zeit durchpulsenden
Denkströme und Wirklichkeitsvorstellungen, die er miteinander verbindet
und mit früheren Traditionsebenen kontrastiv-parodistisch in Beziehung
setzt. Auf diese Weise entstehen in seiner schöpferischen Phantasie eigentliche
Kultur- und Kunstlandschaften von synthetischer Ausdruckskraft, in denen alles
fest in klaren Erscheinungsformen verankert scheint, deren Strukturen sich indessen
wie assoziativ auf andere Vorstellungsebenen zubewegen, in einer ungewöhnlich
einfallsreichen, kombinatorisch-offenen Gestaltung. In seriellen Abläufen
werden dabei oft die einzelnen Stationen des Transformationsprozesses festgehalten.
Denn den Künstler fasziniert das Entstehen und Entwickeln, die Kristallisation
wie auch die Erosion, in ihrer Wirkung auf das Wahrnehmungsvermögen des
Menschen. Sein Medium ist die Veränderung in der ganzen prozesshaften Unabgeschlossenheit
von Werden und Vergehen.
Die Namen seiner wie naturhaft entstandenen Steinbücher weisen andeutungsvoll
auf seine archetypisch wirkende, geheimnisvoll verschlüsselte Transformationsästhetik
hin: "Denkströme", "kristallines Buchstabenbuch", "Meeresarchäologie",
"Versteinerungen", "steinerne Faltung". Martin Schwarz entwirft
monumentale Landkarten mit imaginären Landstrichen und Kontinenten, die
irgendwie bekannten – erinnerten – Weltkarten gleichen im Sinne
von vage zitierten, aber von ihm erfundenen, kunstvoll hergestellten Gegenwirklichkeiten.
Diese bestückt er mir irisierenden, zauberhaft imaginierten Phänomenen:
mit Blumenarabesken, herumfliegenden Paradiesvögeln, halluzinierten Steinfiguren,
schattenhaften Tierzeichnungen, architektonisch gigantischen Meisterwerken.
In digital perfekter Montagetechnik verfertigt er ganze Ansichtskartenserien,
in denen sich verschiedene Wirklichkeiten ineinander verspiegeln, die er in
gross angelegten Ausstellungen vorstellt, z.B. in Stuttgart durch den Württembergischen
Kunstverein, unter dem Titel "Exotische Welten – Europäische
Phantasien", oder im Nietzsche-Haus in Sils-Maria, mit dem Hinweis "Eine
andere Illustration von Nietzsche-Gedanken". Unterschiedliche Wahrnehmungsperspektiven
fügen sich in einem variationsreichen Puzzlespiel ineinander, so dass kaum
noch auszumachen ist, was echt, wirklich oder erfunden, vielleicht bloss entworfen,
ist. Mit Vorliebe inszeniert er Wortbilder in überraschender Aufhebung
der unterschiedlichen Darstellungsebenen, in skurril-faszinierenden Bild- und
Erfahrungsvermischungen, in denen sich der Himmel mit dem Wasser, Venedig mit
rokokohaften Palastzeichnungen, afrikanische Vegetation mit Alpenwiesen, Natur
mit der Technik und Technisches mit natürlichen Landschaftsvisionen vereinigt,
in der gleichzeitigen Vergegenwärtigung von sonst zeitlich wie örtlich
getrennten Erscheinungen. Die Wolkenkratzer Manhattans erscheinen in der Oberengadiner
Landschaft am St. Moritzer See, bei Venedig rauschen die Stromschnellen der
Niagarafälle, auf dem Meeresgrund begegnet ein Riesenwal einem ihm gleichenden
Airbus. Martin Schwarz hat meisterhafte Serien mit den Motiven des Matterhorns
und des Kölner Doms geschaffen, die ihm internationale Anerkennung einbrachte.
Man erschrickt in seinen visionären Darstellungen über die Vermengung
von Unkompatiblem und begeistert sich an deren Originalität.
Martin Schwarz ist einer der ersten Künstler seiner Generation, welcher
mit Freude und Einfallskraft mit den neuen Darstellungsmöglichkeiten der
Digitalkunst umzugehen verstehen, im Sinne einer neuen – ambivalenten
– Weltsicht, wo Realität und Surrealität, Wirklichkeit und Wahnsinn,
in satirisch gemeinter, gefährlich-abgründiger Provokation eins werden.
In dieser materiellen wie ideellen Unabhängigkeit wird der Mensch unvermittelt
zum Schöpfer seiner eigenen Wirklichkeit, indem er auf den vorgegebenen
Realitätselementen und den eigen wie benommenen Ausdrucksformen wir auf
einem Instrument zu spielen beginnt, mit virtuoser Selbstverständlichkeit
und selbstbezogener Besessenheit. In dieser kreativen Ausnahmesituation wird
er für sich zum Mass aller Dinge, zum Ausgangspunkt und Ziel seines Werks.
Kann er denn – so die konsequente Frage – in dieser Selbstbezüglichkeit
von anderen noch verstanden werden ? Oder werden seine Individual-Experimente
zum unverständlichen Labyrinth für den ratlosen Betachter, der eine
ihm fremde Rätselsprache zu entziffern sucht, um deren – mögliche
– Botschaft noch zu entschlüsseln ? Ist der Endpunkt dieser Kunstentwicklung
das autonome Künstler-Ich, wie es in Nietzsches "Zarathustra"
angelegt ist, oder ist es gerade umgekehrt, indem sich eine rein dinghaft gewordene
Welt im traumwandlerischen Schaffen des Künstlermediums wie von selbst
formuliert, den traumhaften Eingebungen der Propheten und animistischen Zauberern
vergleichbar, denen sie sich rückhaltlos unterwarfen ? Dürrenmatt
sprach indes von der schlimmstmöglichen Wendung eines einmal zu Ende gedachten
Gedanken, seine tragischen Visionen gleichzeitig in skurril-absurde Gleichnisse
auflösend und damit Gelächter wie Ratlosigkeit erzeugend.
Auf der Gratwanderung zwischen begeisterter Ergriffenheit und ernüchterter
Verzweiflung arbeitet Martin Schwarz, unentwegt auf der Suche nach neuen Sinngebungen
und innovativen Ausdrucksformen. Dabei helfen ihm immer wieder seine kühnen
Rückgriffe auf den weitgefächerten Kanon bestehender Kunsttraditionen,
die er zitiert, imitiert und parodiert, um für sein kommunzierendes Schaffen
noch einen gemeinsamen Nenner für den Betrachter zu finden, auf der Kippe
zwischen Ernst und Schalk, Satire und Parodie. So hat er mehrer Kunst-Zyklen
entwickelt, indem er – mit dem ihm eigenen Sinn für Transformation
– vorgegebene Kunstwerke übernahm und im Stil ihres Schöpfers
zu Ende dachte oder aber mit den Ausdruckformen anderer Malepochen konfrontierte:
In seinen kunstvollen Umspielungen von Leonardo da Vinci‚s Mona Lisa,
die er aus dem ursprünglichen Kontext wegzaubert, um die von ihr ursprünglich
verdeckte Landschaft in ihrer ganzen – eigentlichen – Schönheit
zu beschwören. Oder in seinen kühnen Varianten zu bekannten Werken;
indem er z.B. Dem "Greislein" von Paul Klee einen trapezförmigen
Partner verpasst oder Picassos "Acrobaten" mit einer nicht minder
agilen "Acrobatin" ergänzt. René Magritte dient ihm mit
seinen skurrilen Darstellungen ebenso als Vorlage wie der deutsche Romantiker
Caspar David Friedrich, dessen "Kreidefelsen in Rügen" er unablässig
umspielt, in immer neuen Varianten und Farbkombinationen, indem der die Grundperspektive
beibehält, den Blick indessen von innen nach aussen wendet und schliesslich
ins Unsichtbare auflöst. Seine Phantasie lässt ihn Wassily Kandinsky‚s
Formstudien mit immer neuen Elementen durchsetzen, so dass man am Ende nicht
mehr weiss, welches nun das Original ist und welches seine Spielformen. Zum
Jahre 2000 löste Martin Schwarz viel bekannte Mariendarstellungen digital
in je 2000 Kleinquadrate auf, um sie in verfremdeten Farbtönen –
mit entsprechendem Kunstraster – in moderner Strahlkraft neu entstehen
zu lassen.
Eine weitere Steigerung im Verfremden und Anverwandeln zeigt sich in seinen
Versuchen, die Idee einer Kunstkammer im Sinne eines imaginären Museums
durchzusetzen. Auf Schloss Bartenstein er eigene Objekte zusammen mit Werken
unzähliger Kunstschaffender der Gegenwart, in unablässiger Veränderung
des Ausstellungsgutes, mit dem Ziel der Schaffung eines Gesamtkunstwerks, das
sich indes nur in unzähligen kleinen Einzelteilen zeigt. Auf Schloss Wartenfels
ob Lostorf hat er dasselbe Konzept unter dem Titel "Kunstkammer der Ideen"
im Sinne eines inszenierten Ideen-Theaters erneut in grossartiger Vielfalt umgesetzt,
nach dem Prinzip der früheren Raritäten- und Wunder-Kabinette auf
Renaissance- und Barock-Schlössern. In der digitalen Welt assoziativer
Virtualität werden Surrealität und Realität eins: Im Traum von
der Überwindung von Raum und Zeit durch die Kunst: in virtuosen Phantasmagorien
und künstlich hergestellten ästhetischen Momenten. Dazu braucht es
den Kunstkenner, der die vielen Anspielungen verstehend mitvollzieht, in kritischer
Distanz und lustvoller Begeisterung. In seiner Wahrnehmung fügen sich die
Prozesse des Gestaltens und gleichzeitigen Reflektierens wieder zusammen, in
schöpferischer Neugier und anerkennender Aufnahmebereitschaft für
das, was man Qualität und hohen Kunstverstand nennt.
Brigitte Hammer:
Musikalische Bildungsstätte Schloss Weikersheim
Eröffnung der Ausstellung MARTIN SCHWARZ
Sonntag, 9. August 1992, 11:00 Uhr
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zu einer aussergewöhnlichen Ausstellung heisse ich Sie herzlich willkommen.
Aussergewöhnlich nenne ich die Ausstellung nicht deshalb, weil hier keine
"normalen" Bilder und Skulpturen zu sehen sind, obwohl MATIN SCHWARZ
auch ein vielseitiger Maler ist. Vielmehr wird Ihnen hier eine Kunst der besonderen
Art präsentiert und ich möchte im folgenden versuchen Ihnen zu zeigen,
worin für mich das Besondere dieser Kunst besteht. Die Kunst von MARTIN
SCHWARZ ist selbstredend und vielsagend, aber auch mehrdeutig und eigen-artig,
manchmal tiefschürfend oder leicht-sinnig, aber auch spitzfindig und schwer-mütig.
Für diese Ausstellung hier im Schloss Weikersheim hat er fünf Kunst-Tische
gestaltet und Sie werden sehen: Da hat er was angerichtet! Es beginnt aber schon
hier im Vorraum: auf der Staffelei ein quadratisches Bild: das verkehrte Nichts.
Die Buchstaben laufen in Spiegelschrift von Rechts nach Links und laufen so
in die Richtung des Ausstellungsraumes, wo das Nichts kleiner wird und einem
Etwas Raum gibt, und wenn wir das Nichts umkehren, und uns von ihm abwenden,
stehen wir mit dem Rücken zum Nichts und haben Alles vor uns, die ganze
Ausstellung, und wenn wir im Geiste von Tisch zu Tisch gehen, durchstreifen
wir einen Teil des Kosmos, in dem die Kunst von MARTIN SCHWARZ sich ereignet.
Auf dem ersten Tisch liegen die Mineralienbücher - lauter Steine des Denk-Anstosses.
Bücher sind uns Symbole des gesammelten Wissens der Menschheit, sie enthalten
Wissenswertes oder Triviales, Weisheit oder Banalität, aber sie sind auch
Zeichen der Vergänglichkeit und des Alterns, denn an Büchern werden
Spuren des Gebrauchs und des Vergehens von Zeit besonders sichtbar. Im Gegensatz
zu anderen Gegenständen des täglichen Gebrauchs, die zum Abfall oder
Müll werden, pflegt man Bücher auch dann aufzubewahren, wenn die Spuren
des Gebrauchs überhand nehmen. Wenn MARTIN SCHWARZ sie in die Hand bekommt
und zu Mineralienbücher verarbeitet, wird dieser Aspekt des Alterns ebenso
wie der des Trivialen aufgehoben. Und wenn sie zum Beispiel sein "Kleines
Wüstenstück" betrachten oder das erste "Steinbuch"
können Sie beobachten, wie sich durch die Bearbeitung des Künstlers
Buch und Stein anverwandeln und Stein ist das Material, das uns die Dauer schlechthin
verkörpert.
Zwischen den Buchobjekten werden Sie eines entdecken, das ein geflecktes Steinei
umschliesst. Auch hier gibt die Musterung des Steins für den Maler die
Vorgaben für die farbliche Gestaltung des Objektes. Das Ei gilt uns von
altersher als Symbol für die sich ständig erneuernde Natur, das dem
Altern und Vergänglichkeit des Individuums die aus dem Ei kommende Kraft
des Neuschaffens und Werdens entgegensetzt. Und natürlich können wir
auch an das sprichwörtliche "Ei des Kolumbus" denken, das in
unserem Alltagsgebrauch eine besonders gelungen Idee bezeichnet.
Auf dem zweiten Tisch sind einige "Erinnerungen an Tina Ramses" versammelt,
eine Figur, die in früheren künstlerischen Arbeiten von MARTIN SCHWARZ
als des Künstlers alter ego eine gewisse Rolle gespielt hat und ihn durch
einige seiner Projekte hindurch begleitet hat. Auf dem Tisch liegt eine schwarze
Decke - ein ebenso verschlüsselter wie offensichtlicher Hinweis auf den
Urheber des Arrangements. Darauf einige Objekte mit höchst poetischen Implikationen:
in der gläsernen Vitrine liegt "Sie kämmte sich unter einem verwunschenen
Apfelbaum" wie ein kostbares Relikt. Es bleibt unklar, ob wir hier ein
Zeugnis einer wunderbaren Geschichte oder einer Katastrophe vor uns haben, und
der Künstler stürzt uns hier mit voller Absicht in die Ambivalenz
unserer Gedanken und Gefühle.
Der Dritte Tisch steht in der Mitte und gibt dem darauf liegenden Objekt, das
aus Pappe die Buchstaben "LIEBE" formt eine zentrale Position in der
Ausstellung. Es ist ein Objekt, das der Künstler für eine Ausstellung
zum Thema "Arche Noah" gestaltet hat und auf dem Wasser schwimmen
liess. Einige Fotos, die die abenteuerliche Reise der "LIEBE" auf
dem Wasser festhalten, liegen ebenfalls auf dem Tisch. Was geht uns da so durch
den Kopf, wenn wir vor diesem Bilderrätsel stehen?
Dass Pappe, wenn sie LIEBE formt, erstaunlich widerstandsfähig ist und
auch die Form behält, wenn sie den Bach runter geht; dass LIEBE auch im
Strudel der Stromschnelle oben schwimmt und die Wirbel überstehen kann!
Und dass die "Arche Noah", wenn sie die LIEBE and Bord hat, der Menschheit
die Hoffnung auf das Überleben sichert.
Der vierte Tisch trägt den Titel "Sein und Schein" und wenn sie
an diesen herantreten, dürfen Sie Ihren Augen nicht mehr trauen. Da liegen
Steine, gefundene und gestaltete, aber auch Objekte, die nur so aussehen, als
seien sie aus Stein und sind in Wirklichkeit Gips oder Baumörtelmasse.
Da müssen Sie genau hinschauen, um zu entdecken, was für Rätsel
und Merkwürdigkeiten der Künstler dort zusammengetragen hat, und bei
manchen können Sie soviel hinschauen, wie Sie wollen, nur durch den Augenschein
werden Sie nicht entscheiden können, ob das abgebissene Brot aus getrocknetem
Teig oder aus Stein besteht. Hier gelingt es dem Künstler, unsere Sicherheit
über die mit den Augen wahrgenommene Beschaffenheit der Welt, gründlich
zu erschüttern. Wir können die Objekte nicht durch betrachten, also
nur durch die "reine Anschauung" identifizieren hinsichtlich ihres
Alters und Materials, ja nicht einmal über ihre Form können wir verlässliche
Aussagen treffen.
So geniessen wir den Augenschmaus und verfallen gleichzeitig einer Täuschung
der Sinne. Diese Irritation unseres "Für-wahr-Nehmens" ist eines
der wesentlichen Anliegen in den künstlerischen Arbeiten von MARTIN SCHWARZ.
Die Augentäuschungen finden auf dem letzten Tisch mit dem Titel "Farbige
Transparenz" ihren Höhepunkt. Der Tisch ist etwa je zur Hälfte
mit einem grün-blau-gelb und rob-blau-gelb karierten Stoff gedeckt, darauf
befinden sich Apothekerflaschen und Reagenzgläser aus transparentem Glas,
die teils über, teils unter durchsichtigen Frischhaltefolien liegen. Wie
beim Malen liegen also verschiedene Schichten übereinander und das Spiel
von Licht und Schatten über und unter der Folie und zwischen den Falten
des Stoffes erzeugt raffinierte Effekte, die der Maler noch zu steigern weiss,
indem er in hauchfeinen Inseln reines Pigment in rot, grün, gelb und blau
mit dem Sieb darüberstäubt. So entsteht eine Art dreidimensionaler
Malerei, die im eigentlichen Sinn als "realistisch" zu bezeichnen
ist, denn sie ereignet sich in der Wirklichkeit und stellt auf nie gesehene
Weise unserer Sehgewohnheiten in Frage.
Die Inszenierung des Tisches der "Farbigen Transparenz" wirft ihre
Fragen direkt und unmittelbar auf; hier erleben wir die Elemente der Malerei
- Farbe und Licht - in ihrer ursprünglichen Gestalt. Aber zu den Grundlagen
des Sehens gehört nicht nur das Wahr-Nehmen von Farbe und Form, sonder
auch die Reflektion der Inhalte - in der Flut der ständig gegenwärtigen
bewegten Bilder, die uns umgibt ein schwieriges Problem, da das Wahrnehmen und
verstehen der Bilder mit grosser Geschwindigkeit geschieht und weitgehend unbewusst
abläuft.
Teil der uns umgebenden Bilderflut ist der weltenumspannende Strom von Ansichtskarten,
die Touristen aus aller Welt an die Daheimgebliebenen senden und wir alle wissen,
wie gerade diese Bilder lügen können. Auf Ansichtspostarten scheint
zum Beispiel immer die Sonne und der Himmel hat immer dasselbe Blau, als gäbe
es in allen Druckereien der Welt nur ein einziges Himmelblau. Die Ansichtskarten
haben auch dazu beigetragen, dass uns die berühmtesten Ziele touristischer
Sehnsucht vertraut vorkommen, auch wenn wir sie noch nicht selbst besichtigt
haben. Und wer je am Matterhorn war, weiss, wie schwierig es ist, einen Platz
zu finden, an dem man diesen Berg, der wie kein anderer die Schweiz repräsentiert,
so sieht, wie ihn die meisten Postkarten abbilden. Hier beginnt nun die Freiheit
des Künstlers. Er zeigt uns das Matterhorn neben dem Fujijama, im Schaffhauser
Rheinfall, am Rande der afrikanischen Savanne oder neben den Pyramiden - und
immer liegt es im rechten Licht und immer sind die visuellen Angebote und Lösungen
so überzeugend, dass wir schon mit unserem besseren Wissen in Widerstreit
geraten können.
Und damit haben wir einen weiteren Punkt gefunden, der mir das Werk von MARTIN
SCHWARZ bedeutsam macht: Es ist Kunst wider unser besseres Wissen, sie erweitert
unser Denken, fordert unsere Assoziationsfähigkeit heraus und sie ist wahrhaft
anstössig, denn sie hat überhaut keinen Respekt vor dem Trivialen!
MARTIN SCHWARZ ist als Künstler ein besessener Experimentator - nicht umsonst
ist der Tisch 5 wie eine Alchimistenküche aufgebaut und die übrigen
Tische wie Schautafeln eines Raritätenkabinetts - und als solcher führt
er uns an die Anfänge europäischer Museen, als die Florentiner Medici
im 16. Jahrhundert begannen, ihre Kunst- und Wunderkammern einzurichten. Damals
wurde noch nicht zwischen Kunst und Wissenschaft unterschieden und die Entdeckung
der Welt durch den forschenden Geist war für alle an diesem Prozess Beteiligten
das reine Abenteuer.
Wir haben uns daran gewöhnt, die Ambivalenz des ungehemmten Forschens zu
sehen und erkennen, dass uns die Grenzen des Wachstums zunehmend ins Blickfeld
geraten. Und wir lernen, dass wir zukünftig auf die Simulation angewiesen
sind, wenn wir wissen wollen, Was Wäre Wenn...? MARTIN SCHWARZ als unermüdlicher
Bilder-Finder und Bild-Erfinder ist uns als radikaler Simulator ein gutes Stück
voraus auf dem Wege zu virtuellen Wirklichkeiten.
Wir folgen ihm mit unseren Blicken und erleben kleine Abenteuer für die
Augen. Diese erschliessen sich nicht dem flüchtigen Schauen, sondern nur
dem konzentrierten und kontemplativen An-Schauen. Da können wir über
Grenzen nachdenken, denn wir wissen, dass es an den Buchobjekten einen Übergang
vom Papier zum Stein gibt, doch wir können ihm mit dem Auge nicht entdecken
und wir können uns fragen, wie auf dem vierten Tisch wohl das Gesicht,
das uns aus dem graugrünen Stein sanft und zart entgegen lächelt,
dort hineingekommen ist.
Da ich die Ausstellung schon vor Ihnen gesehen habe, versuchte ich, Ihnen einige
meiner Gedanken zu vermitteln, die mich beim Betrachten beschäftigt haben.
Das soll Ihre eigene Sichtweise, auf das, was zu sehen ist, jedoch nicht beschränken
- lassen Sie Ihre Augen über die Bücher und Steine spazieren gehen
und tasten Sie die "Farbige Transparenz" auf allen Stufen ab, denn
nur, was Sie mit eigenen Augen gesehen haben, wird Ihre Wahrnehmung schärfen
und Ihre An-Schauungen bereichern.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören und wünsche Ihnen viel Vergnügen
beim Rundgang durch die Ausstellung von MARTIN SCHWARZ, die hiermit eröffnet
ist.
Caroline Kesser:
Zur Eröffnung der Ausstellung von Martin
Schwarz in der Galerie im Weissen Haus, Winterthur, 18. Oktober 1991
Meine Damen und Herren
Wir haben allen Grund zum Feiern: Mit der Ausstellung von Martin Schwarz weihen
wir heute Abend im Weissen Haus eine erneuerte und vergrösserte Galerie
ein. Die Koinzidenz ist bemerkenswert, 1969 debütierte Schwarz in eben
diesen Räumen, wo er heute, 22 Jahre später, den Anfang einer neue
Aera markiert. Dass der längst ausserhalb unserer Landesgrenzen bekannte
Künstler mit einer Reihe von Buchobjekten in dieses Haus der Bücher
zurückgekehrt ist, sei als weiterer glücklicher Umstand erwähnt.
Nun bin ich natürlich versucht, vom schönen Zusammenspiel und der
gegenseitigen Treue zu schwärmen, lasse das aber, da diese Tugenden die
Kunst, von der hier ja die Rede sein soll, nur am Rand tangiert. Die Vergegenwärtigung
von Schwarzens erster professioneller Ausstellung drängt sich gleichwohl
auf. Schon deshalb, weil sie hier in Form eines schwarzweissen Reliefs unerwartet,
aber kaum zufällig auferstanden ist. Die Op Art-Objekte von einst und die
Werke, die er heute unter dem schwindelerregenden Titel "Imaginationen,
realisiert im Konstruktiven mit Phantasie und der Konstruktion von Phantastischem"
präsentiert, verbindet ein Weg, der so abenteuerlich wie konsequent ist.
Martin Schwarz wagt sich immer wieder in Grenzbereicht vor, verzweigt und erweitert
sein Interesse aber nur, um beim Thema zu bleiben. Stets geht es da um Fragen
der Wahrnehmung beziehungsweise die Labilität der Erkenntnis, doch damit
ist noch wenig gesagt. Seit seiner Op Art-Phase hat er sich nie mit der blossen
Irritation begnügt. Ein Meister im Handhaben von Täuschungseffekten,
verunsichert, verblüfft und überrascht er nicht allein aus Freude
am Verwirrspiel. Das Spielerische, sein Witz und seine Ironie, sind zwar ein
wesentliches Element in seiner Kunst, doch dahinter manifestiert sich, unverkennbar,
die eigene Unsicherheit vor dem Unfassbaren der Existenz.
Wie nur ganz wenige, versteht es Schwarz, mit der Netzhaut auch das Grosshirn
zu beschäftigen, zum Lachen oder wenigstens Schmunzeln und zum Nachdenken,
ja Grübeln zu verleiten.
Mit Gedanken-Kunst, die die verschiedensten Sensorien anspricht, konfrontiert
uns auch die Ausstellung, die wir heute eröffnen. Allerdings fehlen hier
die Extreme, zu denen er im Lauf seiner Entwicklung phasenweise vorgestossen
ist. Diese Werkschau wartet weder mit frechen Verfremdungen noch mit Abgrundvisionen
auf. Bezeichnenderweise spielt hier die Farbe Schwarz, die sich seiner Produktion
immer wieder bemächtigt hat, nur eine untergeordnete Rolle. Stattdessen
herrschen Gold und Silber vor, wenn auch im gebrochenen Glanz der Patina und
kaum als strahlende Edelmetalle.
Der Hang zum Dekorativen ist nicht zu übersehen, vor allem in der Serie
der Hinterglasbilder, die den Kern der Ausstellung bilden. Ist Schwarz, der
noch vor kurzem mit dem Begriff des Nichts rang und damit letzte Fragen auf
Papier und Leinwand brachte, demnach heiter und zuversichtlich geworden? Auf
den ersten Blick möchte man es annehmen. Schliesslich ist das Thema dieser
Arbeiten ja die Versöhnung von Gegensätzen. Wie der Ausstellungstitel
anzeigt, geht es um die Gleichzeitigkeit von Konstruktivem und Phantastischem.
Bestehende Ordnungsmodelle haben Schwarz schon immer zum Auflösen gereizt.
Man denke nur an sein 1976/77 entstandenes Bild "Ein Widerspruch zu Mondrian",
wo sich ein Efeu um das strenge Bildgerüst des holländischen Avantgardisten
rankt. Umgekehrt hat er im scheinbar Gestaltlosen immer wieder Ordnungsstrukturen
entdeckt oder entdecken lassen. Seine "Wahrnehmungsirritationen" waren
stets auch Einladungen zur selbständigen Forschungsreise.
Die Grenzen zwischen Ordnung und Chaos sind in seinem Werk seit je offen und
fliessend. Das gilt nach wie vor. In seinen jüngsten Hinterglasbildern
tritt das Moment der Irritation allerdings zurück. Diese Bilder laden weniger
zum Aufspüren als zur Versenkung ein. Nicht dass es hinter den Konstruktionen
an der Oberfläche nichts zu entdecken gäbe. Ganz im Gegenteil: Was
zunächst wie ein mehr oder weniger beliebiges Kontrastprogramm aussieht,
bloss ein wildes, informelles Wogen, erweist sich bei näherer Betrachtung
als ein Schatzkasten liebevoll ausgestalteter Mikrowelten. Mit einem handwerklichen
Raffinement sondergleichen lässt Schwarz Geometrisches und Gestisches ineinanderfliessen,
setzt er die unterschiedlichsten Muster in Beziehung, verdichtet und verdünnt
er bruchlos Material. Die Hintergründe seiner Glasbilder sind ein Fest
fürs Auge, geben sich aber erst preis, wenn der Blick die Oberfläche
durchstossen hat.
Diese Bilder haben tatsächlich etwas Versöhnliches. Konstruktion und
Phantasie widersprechen sich hier nicht. Die Strukturen mit den mehr oder weniger
geordneten Quadraten und Balken bieten sich jedem, der mehr als einen flüchtigen
Augenblick auf die Bildbetrachtung verwendet, als Einstieg ins unermessliche
Reich der Phantasie an.
"Durch das Gitter der alltäglichen Wirklichkeit dringt die sanfte
Kraft einer mystischen Besinnung", lautet der Titel eines der reichsten
dieser Bilder. Damit wäre auch das viele Gold erklärt. Ob man die
Lichtmystik, auf die Schwarz auch mit Fragmenten aus der arabischen Ornamentik
anspielt, als solche wahrnimmt oder nicht: beim Versenken in die Malerei bekommt
man unweigerlich das Gefühl, einen Sakralraum zu betreten.
Auf sakrale Kunst verweisen auch seine allerneuesten "Konstruktionen",
inhaltlich wie formal. Dabei hat Schwarz hier nichts anderes getan, als das
Werk von Leonardo da Vinci, Michelangelo und De la Tour (es könnten auch
andere Künstler sein) zu einer Serie von vier mal vier Rechtecken zu ordnen
und darüber ein von den Vorlagen unabhängiges Farbsystem zu legen.
Was sich bei der Beschreibung wie eine respektlose Verfremdung von Meisterwerken
anhören könnte, ist zu einer Verbeugung vor der Macht der Erscheinung
geworden. Fordern seine Hinterglasbilder zum aktiven Durchdringen der Oberfläche
auf, offenbart sich der Untergrund in dieser Werkgruppe geradezu mystisch. Scheinbar
ohne jede Anstrengung drücken die Bilder noch durch die opaksten Farbflächen
hindurch.
Nun habe ich das Angebot zur Besinnung und Versenkung, das diese Ausstellung
- zweifellos wie keine frühere - enthält, möglicherweise überbetont.
Bei aller Beschäftigung mit dem Transzendenten ist Martin Schwarz nämlich
kritischer und skeptischer Zeitgenosse geblieben. Humor und Ironie sind ihm
ebenso wenig abhanden gekommen wie die Lust am Sinnlichen. Dass sich Vergeistigung
und der Sinn fürs Materielle keineswegs auszuschliessen brauchen, zeigen
seine Hinterglasbilder sehr schön.
Die Freude am Material, am Formen und Gestalten, gehört so unabdingbar
zu seiner Kunst wie der philosophische Hintergrund. Um eine eigene, unverwechselbar
Handschrift hat er sich allerdings nie bemüht. Dagegen ist er stolz auf
seine Fähigkeit, Malereien und Objekten den Anschein von organisch Gewachsenem
zu geben. Der handwerkliche Ehrgeiz hat seinen tieferen Grund: Schwarz will
nicht nur berichten von den Spuren der Zeit, sonder diese auch sichtbar werden
lassen. Das macht er so perfekt, dass wir keinen Moment daran zweifeln, in den
15 Tafeln der Arbeit "Die Erinnerungen an den Vater" Dokumente aus
der Zeit von Gottfried Keller vor uns zu haben, und auch überzeugt sind,
der Piz im Buchobjekt "Rissiger Traum" habe sich von selbst entwickelt.
An dieser so natürlich wirkenden Patina liegt es denn sicher auch, wenn
diese Ausstellung eher beruhigt als irritiert. Der Widerspruch, der im metallisch
glänzenden Buchobjekt "Gehirnströme" noch zum Himmel schreit,
schwächt sich unter dem Mantel des Organischen unwillkürlich ab. Das
heisst nicht, dass er aufgehört hätte zu existieren. Angst und Zweifel
bestehen weiterhin. So drückt sich in seinen Buchobjekten die Sorge um
die Vergänglichkeit der Schrift noch im blühendsten Exemplar aus.
Wolfgang Rainer:
Das zweite Leben der Bilder
Zu den Gemälden und Buchobjekten von Martin Schwarz
Kunst ist nicht zwangsläufig das Resultat
eines Dialogs zwischen dem Künstler-Ich und der Aussenwelt. Kunst entsteht
oftmals selbst wieder aus Kunst, Bilder können Bilder hervorrufen. Dieses
kunsthistorische Fakturm wird zwar nicht grundsätzlich geleugnet, doch
immer wieder von der Lieblingsvorstellung des autonomen Originalgenies verdrängt.
Nicht zuletzt von den Künstlern selbst, denen die Kritik den Zuritt zum
Parnass nur gewähren möchte, wenn sie sich mit dem Patent völlig
neuer Bildideen ausgewiesen haben. Zum sanktionierten Thema der Malerei konnte
die direkt auf Vorbilder bezogene Kunst aus zweiter Hand deshalb erst werden,
als Kunst überhaupt an sich zu zweifeln begann, als sie sich selbst zum
Problem wurde.
Die Potenzangst der modernen Kunst vor kanonisierten Vorbildern hat sich in
Marinettis "Futuristischem Manifest" von 1909 zu der provokativen
Drohung verstiegen, alle Museen zu zerstören. Jahrzehnte später –
die Revolution der Moderne hatte längst ihr eigenen Kinder gefressen –
zeigt sich die Autorität der Museumskunst auf dem Höhepunkte ihrer
inflatorischen Verbreitung ungebrochen, das Problem der Neuschöpfung von
Bildern unabhängig von Vorbildern virulenter denn je.
Für den 1946 geborenen Schweizer Martin Schwarz konnte die frühe Begegnung
mit den alten und modernen Meistern in den Sammlungen seiner Vaterstadt Winterthur
bereits wieder "prägend" werden, wenn auch in einem ambivalenten
Erfahrungsprozess von Faszination und kritischer Gegenwehr. Anders als Duchamp
und Marinetti erlebte der gelernte Graphiker und seit 1968 freischaffende Kunstmacher,
der sich zunächst eher didaktisch auf verschiedenen Feldern der Objekt-
und Bewegungskunst versucht hatte, den Anspruch der Meisterbilder: nicht als
Anreiz zu Vatermord und Bildersturm, sonder als intellektuelle Herausforderung.
In den siebziger Jahren begann Martin Schwarz, die zur Schau gestellten Bildvorgänge,
die scheinbar unumstösslichen Botschaften berühmter Gemälde des
Musée imaginaire hochnotpeinlich zu befragen, zu erforschen, was deren
Aussagen verschwiegen. Er unterstellte, dass die Erscheinung der Bilder von
vornherein trügerisch und mehrdeutig, jede Ikonographie lückenhaft
und veränderbar sei. Bei seinem inquisitorischen Malverfahren bediente
sich der Künstler grosser Farbreproduktionen, nach denen er durch Übermalungen
"täuschend echte", inhaltlich jedoch variierte Neufassungen herstellte.
Mit der Perfektion eines gewieften Restaurators glich er seine Eingriffe der
jeweiligen Originaltechnik an, so dass man kaum bemerkte, wann die Imitation
in Manipulation und diese in Interpretation umschlug. Die Pseudo-Originale,
die unbotmässigen Zweitgerburten wussten am Ende alles besser als ihre
Vorbilder.
Schwarz ging es vor allem darum, Scheinrealität zu entlarven, Ungesehenes,
ein verborgenes "Manko" zu enthüllen, wobei die sophiatische
Frage an das Kunstwerk lautete: "Was wäre, wenn ..."Wenn zum
Beispiel der Vorhang vor Ingres‚ sitzendem Rückenakt zugezogen würde,
wenn Goyas Maya sich hinweggestohlen hätte und nur als Kissenabdruck "anwesend"
wäre, wenn auf Altdorfers "Alexanderschlacht" der Lanzenwald,
das wimmelnde Heer, einem rätselhaften Pazifismus folgend, aus der Landschaft
verschwände. Hinter der anfangs mitunter noch etwas vordergründigen
malerischen Entblössung und Verführung berühmter Modelle erhob
sich bereits die skeptische Frage nach dem Schein und dem Sein von Realität,
nach der unausgefüllten Leere, nach dem grossen "Nichts" hinter
den Dingen. Sie beschäftigt den Künstler bis zum heutigen Tag. Der
philosophische Ansatz seiner nachdenklichen Malerei ist nicht zu übersehen.
In der Mitte der achtziger Jahre tritt er noch deutlicher hervor, seitdem sich
Martin Schwarz stärker als früher auf die existenzielle Seite des
Kunstprozesse, auf die psychologisch-menschliche Aussage bestimmter Handschriften
und Bildformulierungen konzentriert. Schwarz kommt es jetzt nicht mehr auf die
verblüffende Nachahmung an, auf die glatte Perfektion und den Virtuoseneffekt
des Trompe l'oeil. Sein Pinselstrich – ermalt nur noch in Öl auf
Leinwand – ist rauher, die Malerei insgesamt offener und selbstbewusster
geworden. Immer häufiger, immer mutiger wagt sie den Absprung vom Vorbild.
Schwarz denunziert seine Modelle und Motive nicht mehr. Er respektiert sie,
wenn er ihre Aussagen einkreist und komprimiert, wenn er den gefunden Grundgestus
aufnimmt, isoliert und dramatisch forciert.
Bereits in der 1975 entstandenen Serie der "Fixierten Emotionen" nach
van Gogh hatte Schwarz die Strahlungsenergie der expressiven Pinselschrift im
Zyklopenauge konzentriert, was allein vom Selbstportrait übriggeblieben
war. Inzwischen hat sie die intensive Beschäftigung mit van Goghs tragischer
Künstlerexistenz zu einem zentralen Bilderzyklus ausgewachsen, der deutliche
Züge von Identifikation trägt und die latenten Möglichkeiten
der Vorbilder bis zur psychischen Abstraktion radikalisiert, so als hätte
van Gogh in unserem Jahrhundert gelebt.
Meist hat Schwarz sich von Kunstbüchern und biographischen Quellen zu den
Originalen hinführen lassen und von der Literatur aus deren Geheimnis zu
ergründen versucht. Eine Briefstelle etwa kann eine bildnerische Neuinterpretation
in Gang setzen. "Ich glaube", schreibt van Gogh im Mai 1890 an Bruder
Theo, "man darf auf keinen Fall auf Dr. Gachet rechnen. Zunächst ist
er kränker als ich, wie mir scheint, oder wenigstens ebenso krank. Wenn
ein Blinder einen andere Blinden führt, fallen da nicht beide in den Graben?"
Unter dem Eindruck dieser Sätze verliert das verhärmte Porträt
des Dr. Gachet im 1988 entstandenen Nachbild von Martin Schwarz vollends seine
Farbe; aus der nervös gestrichelten Grau-Textur blickt uns jetzt ein leichenhaftes
Schemen an. Auf ähnliche Weise verwandelt die Kenntnis der tristen Lebensumstände
in Arles die sonnengelbe Schlafkammer in ein nächtlich-fahles Sterbezimmer.
Dann wieder verklären sich die Gräber der Brüder Vincent und
Theo an der Friedhofmauer – den Hinweis gab ein Farbfoto – im vibrierenden
Licht einer imaginären Sonne zum postumen "Van-Gogh-Gemälde",
zu jener Apotheose, welche die Welt dem Brüderpaar schuldig geblieben war.
Über das Ikonographische und Biographische hinaus verselbständigen
sich die Strukturen einzelner Vorbilder. Graphische Wirbel wachsen sich aus
zu freien Abstraktionen, kurze graue, weisse und schwarze Striche ordnen sich
zu schweren Balkengefügen. Van Goghs Vokabular hat sich – malerisch
liquidiert - aus der Umklammerung der Kunstgeschichte befreit. Um exegetische
Richtigkeit war es dem Künstler nie zu tun, immer nur um die Utopie der
unausgeschöpften Möglichkeiten. Wie hätte sich sonst das van
Goghsche Motiv der Kirche in Auvers in eine gipsweisse, pastose Monochromie
auflösen können?
Didaktischer Ehrgeiz ist allerdings auch im Spiel. Er zeigt sich bei der demonstrativen
Aufarbeitung der revolutionären Pioniertaten, bei der Rückverwandlung
von Picassos vorkubistisch geschnitzten "Demoiselles von Avignon"
in einen blauen Lyrismus ebenso wie bei Monet und Kandinsky-Paraphrasen. Schwarz
hat immer neue Anläufe unternommen, Kunstgeschichte bis in irreale Bereiche
weiterzudenken, Unbesetztes mit logischen Assoziationen auszufüllen.
Er geht dabei so weit, ungemalte, verschollene oder zerstörte Meisterwerke
nach Reproduktionen zu rekonstruieren. Drei Werke von Gustav Klimt wurden uns
auf diese Weise "wiedergeschenkt", darunter die 1945 verbrannte "Leda",
das "Kreuz in Rosen" und die "Freundinnen". Ein offenbar
unerträglicher künstlerischer Leeraum wurde dadurch gefüllt.
Aber macht nicht die Nachschöpfung, deren grobkörnige Fraktur den
glatten Schmelz der Klimtschen Technik mehr verleugnet als bewahrt, den unwiederbringlichen
Verlust überhaupt erst bewusst? Schwarz sucht heute die Distanz zum Vorbild
und geht dabei weitaus grössere Risiken ein als früher. Manche Bildmotive
müssen abenteurliche Tests bestehen wie das van Goghsche "Mädchen
mit Orange", das seine kindliche Unschuld im Glück eines riesigen
Orangenberges, aber auch frierend im Schneetreiben, in den unterschiedlichsten
malerischen Verkleidungen behaupten muss.
Die Wahrheit, hatten wir gesehen, steht hinter den Bildern. Inhalte, Stile,
Handschriften sind nur Reflexe des Eigentlichen, das unsichtbar bleibt. Der
zweite wichtige Werkkomplex neben den Bildervariationen versucht mit eklektizistischen
Mitteln dieses Nichts, das ungreifbare Etwas malerisch zu umschreiben. Tatsächlich
haben die sei 1986 entstandenen "Nichtsbilder", die in wechselnden
Stilmasken die paradoxe Semantik eines eigentlich nicht darstellbaren Gegenstandes
ad absurdum führen, mit Heideggerschen Gedankengängen zu tun. Schwarz,
ein belesener Künstler, bekennt sich ausdrücklich zur philosophischen
Lektüre. Zugleich wird die eigene kunstgeschichtliche Kenntnis hellsichtig
relativiert: in pointilistischen, kubistischen oder malerisch "verwischenden"
Versionen zum Beispiel. Eine skripturale Variante lässt das verwendete
Buchstabenmaterial überhaupt nur im Lichtreflex erscheinen, in Form gekämmter,
aus dem gemalten Schwarz hervortretender Strichlagen.
Umkreisten die Bildvariationen und die "Nichtsbilder" Unsichtbares,
so ist es in der dritten Werkgruppe, in den Buchobjekten aus den letzten drei
Schaffensjahren eine sinnlich greifbare Ding-Realität, die durch materielle
Metamorphosen ihr Wesen, ihre Wurzeln, ihr Wachstum und ihre Geschichte enthüllt.
Schwarz hat hier wieder "Originale", antiquarische Schwarten, als
Vehikel für plastische Expeditionen ins Unbekannt eingesetzt, wobei sich
die verwendeten Bücher auf handwerklich atemraubende Weise in Kunstobjekte
verwandeln. Lässt das "Ammonitenbuch" 150 Millionen Jahre alte
Fossilien aus aufgeschlagenen Druckseiten hervorwachsen – was auf die
Endlichkeit unseres Buchwissens hindeuten mag -, so geht das Papier in der "Alten
Symbiose" bruchlos über in hölzernes Wurzelwerk, in den Stoff,
aus dem es hervorgegangen ist.
Manche Bücher beschwören "Sein und Zeit" unserer Gegenwart
oder weisen gar voraus in eine elektronische, dem Buch womöglich tödliche
Zukunft ("Gehirnströme", 1989). Dann wieder starren Seiten, zu
Blech gefaltet oder kostbar versteinert. Das Naturmaterial überwuchert
und vernichtet das Menschenwerk – eine deutliche Metapher für Vergänglichkeit,
Tod und Wandlung, ein Problemkreis, der für die gesamte existenzielle Situation
dieses Künstlers gültig bleibt, selbst dann wenn sich das Bild mit
Virtuosität und trickreicher Spielartistik maskiert. Am Ende bildet das
zerfallende Papier den Humus für neues Formwachstum, wie die variierten
und fragmentierten Meisterwerke, deren unzerstörbare Substanz in der permanenten
Verwandlung weiterlebt.
Fritz Billeter:
Von Veränderungen und vom Verschwindenlassen
Martin Schwarz in der Galerie 16a
Der Maler Fred Engelbert Knecht führt eine
Galerie an der Ausstellungsstrasse 16 a. Gegenwärtig zeigt er bis zum 19.
April von dem 1946 geborenen, in Winterthur lebenden Martin Schwarz eine gedrängte
Retrospektive in vierzig Nummern und einige Bücher, die von oder über
Schwarz geschrieben worden sind.
Martin Schwarz visualisiert Ideen, er ist ein Konzeptkünstler, neben dem
Aargauer Max Matter der wichtigste der Deutschschweiz. Europäische Vergleiche
braucht er nicht zu scheuen.
Der Zwanzigjährige begann tachistisch, oder er schwelgte in Nostalgie.
In den frühen siebziger Jahren brachte er trickreiche Apparate heraus:
einen, der den Kopf des Betrachters in ein fahles Gespenst verwandelt, verwandt
mit Figuren von H.R. Giger, mit dem Schwarz manchmal zusammenarbeitet; einen
weiteren, sehr aufwändigen, der gestörte Kommunikation demonstriert
(nicht in der Ausstellung); eine Brille, die den Gesichtswinkel verschiebt und
die Umgebung seitenverkehrt erscheinen lässt; eine Flasche, die eine hinter
ihr angebrachte Schrift im Mittelstück ausblendet, so dass man nur noch
UNS ...BAR lesen kann.
Schwarz ist überhaupt gross im Verschwindenlassen. Das hat er uns vor allem
auch in seinen Bildveränderungen grosser Meister in der zweiten Hälfte
der siebziger Jahre gezeigt. Er verwendet für solche Operationen Kunstdrucke,
die er mit dem Pinsel oder fotografisch manipuliert. Dafür einige Beispiele:
das Selbstbildnis des frühen Rembrandt wurde so verdunkelt und mit Kraquelüren
versehen, dass wir eine Antiquität vor uns haben. Mit Rembrandts "Nachtwache",
dem Porträtauftrag einer Korporalsschaft, die sich dank der Restauratoren
als Tagwache herausgestellt hatte, wurde bei Schwarz umgekehrt zu einer "Nachtschwarzen
Nachtwache oder die Wache in der Nacht". Bruegels "Turmbau zu Babel"
wurde so verdüstert, dass nur noch eine Ruine nach dem Atomschlag übrigbleibt.
Goays "Maya nue" wird in drei Phasen verändert: zuerst die "originale"
Maya, auf dem zweiten Bild die Kurtisane in durchsichtiger Reizwäsche;
auf dem dritten Bild hat sie die Kissenlandschaft ihres Lagers verlassen.
Anfangs der achtziger Jahre hat Schwarz Fotos und Collagen bearbeitet, z.B.
sieben mal sieben Katzen mit lockigem Haar derart, dass ihre Gesichter und Mähnen
sich zu narkotischen Wirbeln verdichten, oder so, dass ein Kriegsfoto wirklich
etwas vom tödlichen Getümmel eines Gefechts wiedergibt.
Martin Schwarz pflegt (augenzwinkernd) auch eine makabre Strähne. So ist
in der Ausstellung ein Selbstporträt als Röntgenbild mit Brille zu
sehen oder ein "Porträt" von Giftpflanzen: Schwarz in Schwarz,
ein Kombinat von Pflanzennamen mit einer Kreuzstruktur.
Rudolf Koella:
Martin Schwarz (Kunst-Bulletin Nr. 3, März
1984)
Maler und Grafiker, Fotograf und Filmer. Objektmacher
und Buchmacher. Aktionist und Galerist. Denker, Schreiber und Verleger: der
1946 geborene Martin Schwarz gehört sicher zu den vielseitigsten Talenten
auf der Schweizer Kunstszene. Immer wieder überrascht er die Öffentlichkeit
mit neuen, ungewöhnlichen Hervorbringungen, die sich, um einen seiner Buchtitel
zu zitieren, oft mehr "am Rande der Kunst" bewegen. Auch am Rande
des offiziellen Kunstbetriebs. Sein Beitrag zur letzten Ausstellung der Zürcher
Künstler in den Züspa-Hallen bestand nicht in einer Einsendung eigener
Bilder (wofür er als Winterthurer gar kein Recht gehabt hätte), vielmehr
brachte er in den Kojen anderer Aussteller vorgedruckte "Komplimentrurkunden
mit Prädikat" an, auf die er, den gängigen Kunstkritikerjargon
persiflierend, Wertungen wie "in Einsamkeit für uns geboren",
"bewahrungswürdig", "engagiert", "eröffnet
eine neue Dimension", "bedeutungstief", "begnadet",
"flott und locker" schrieb. Verärgert scheint von den Betroffenen
niemand gewesen zu sein, was auch keineswegs die Intention von Martin Schwarz
war. Seine Aktion richtete sich ja nicht gegen die Aussteller selber, sondern
gegen uns, die Besucher, mit unseren festgefahrenen Sehgewohnheiten.
Auf eine Veränderung festgefahrener Sehgewohnheiten ging die künstlerische
Tätigkeit von Martin Schwarz schon immer aus. Er hat früh begriffen,
dass wir die Dinge letztlich nicht so sehen, wie sie sind, sondern so, wie wir
sie zu sehen gewohnt sind. Also müssten wir wieder lernen, die Dinge neu
zu sehen, ihnen die Aura zurückzugeben, die sie durch ihre Reproduzierbarkeit
verloren haben.
Was Wunder, dass zu seinen ersten öffentlich gezeigten Arbeiten kinetische
Objekte und Kommunikationsinstrumente aller Art gehörten (um 1970). Und
wer erinnert sich nicht an jene Bildverfremdungen, die er zwischen 1972 und
1982 in grosser Zahl anfertigte? Mit Übermalungen und Überklebungen
wurden da Reproduktionen von Meisterwerken der Kunst scheinbar völlig pietätlos
verändert. Das Schweisstuch der heiligen Veronika ist zu Boden gefallen,
von der liegenden Maya bleibt nur der Körperabdruck zurück, und um
das Gitterwerk eines Mondrian rankt sich neckisch Efeu. Verfremdungen nannte
Schwarz diese Bilder, deren Ziel es war, das zum Verbrauchsartikel degradierte
Kunstwerk durch eine pointierte Veränderung in eine neue, aktuelle Realität
einzubringen. Denn - so Walter Aue - die Zerstörung der Kunst von gestern
(mit den Mitteln der Kunst) hat schon immer die Überführung der Kunst
ins Heute bedeutet. Nach dem Motto "Kunstgeschichte ist eine Wahrheit voller
Lügen" hat er immer wieder die Konserven angebohrt, in welche die
Kunstgeschichte die Kunst abgefüllt hat, ihre Etiketten ausgewechselt oder
ihr gar fremde Produkte untergeschoben. 1978 etwa verkündete er einer erstaunten
Öffentlichkeit, er habe ein verschollenes, nur noch als Schwarzweissreproduktion
bekanntes Gemälde von Caspar David Friedrich wiederentdeckt, den "Klosterfriedhof
im Schnee", wenigstens als Ruine, und als Ruine hat er das Bild tatsächlich
nachgemalt. Ein Jahr später rekonstruierte er aufgrund gewisser Textstellen
im "Grünen Heinrich " die Kritzelzeichnungen Gottfried Kellers,
"die ersten abstrakten Bilder der Kunstgeschichte". Und im Rahmen
der Ausstellung "Mein Kölner Dom" stellte er 1980 mit Hilfe von
Fotocollagen eine Serie von Postkarten her, welche das "wunderbare"
gotische Baudenkmal in allen möglichen touristischen Umgebungen zeigen:
auf einem Minigolfplatz, auf der Colonia San Jordi, in der kalifornischen Wüste,
vor dem Matterhorn usw. Denn auf die eigene rhetorische Frage, ob der Dom nur
noch "ein Souvenirartikel vergangener Träume" sei, antwortete
er: "Vielleicht muss der Dom, seinem transzendierenden Sinn entsprechend,
immer der Welt fremd bleiben und könnte darum seinen heimatlosen Platz
eigentlich überall auf unserer Erde haben."
Wahrnehmungsirritation nennt Schwarz dieses künstlerische Vorgehen, bei
dem es nicht so sehr um gestalterische Probleme geht, sonder um Erkenntnis.
Seine Verfremdungen vorgefundener Inhalte gehören im Grunde der Objektkunst
an, wobei in diesem Falle die Kunstgeschichte selber zum Objekt der künstlerischen
Verfremdungsarbeit geworden ist. Doch gleichzeitig sind sie auch Ideenkunst,
weil Schwarz das vorgefunden Objekt durch seine ironische Verfremdung in einen
neuen, aktuellen Sinneszusammenhang bringt. Nie aber zielen seine Verfremdungen
auf eine Trivialisierung der Kunst, ganz im Gegenteil, Martin Schwarz versucht,
gerade das durch die moderne Massenkultur zum Konsumartikel erniedrigte Kunstobjekt
der Trivialisierung zu entziehen, indem er es aus seiner gewohnten Umgebung
rückt.
Das gilt in besonderem Masse für die neueste Verfremdungsarbeit des Künstlers,
die "Sonntagsmalerei mit Fallgruben". In Brockenhäusern und auf
Flohmärkten stöberte er während Jahren Bilder von Hobbykünstler
auf, die er im Atelier mit subtilen pointierten Übermalungen veränderte.
Um einen brav dargestellten stacheligen Kaktus rankt sich nun Stacheldraht,
und neben dem Holzchalet flattert fröhlich im Bergwind die Piratenfahne
(wobei das Ganze jetzt "Das Ferienhäuschen des ehrlichen Maklers"
heisst). Das bedeutet das "Sonntägliche", Idyllische dieser Fundobjekte
wird vom Künstler wiederum in Frage gestellt, die ungestillte Sehnsucht
nach der heilen Welt, die zu diesen rührend naiven Werken beflügelte,
erweist sich jetzt als Lug und Trug. Mit minimalen Eingriffen holt sie Martin
Schwarz in den brutalen, von Tod und Zerstörung bedrohten Alltag zurück.
Eben hat Schwarz in seinem EigenArt-Verlag ein Buch über diese "Sonntagsmalerei
mit Fallgruben" herausgebracht, das nicht nur ein gescheites Vorwort von
Martin Kraft enthält, sonder auch eine Vielzahl von Kommentaren zu den
einzelnen Bildern, verfasst von Schreibern, die der Verlag mit einem Rundbrief
um ihre Mitarbeit bat. So wird hier, wie es im Vorwort heisst, über die
rein malerische Verfremdungsarbeit hinaus der erzählerische Realismus dieser
Bilder zum Anlass, ihre Unwirklichkeit auf die heutige Wirklichkeit hin "fortzuschreiben"
- ein Vorgang, der wie immer im Werk von Martin Schwarz, die Grenzen des Bildnerischen
gegen das Literarisch-Philosophische überschreitet.
In einem Interview mit dem Malerfreund H. R. Giger meinte Schwarz zu dieser
Arbeit, manche Sonntagsmaler würden sein Vorgehen wohl verstehen, sich
vielleicht sogar geschmeichelt fühlen, "denn diese Bilder waren eigentlich
verlorene Bilder. Sie standen rum, niemand wollte sie... Ich möchte die
Sonntagsmaler nicht veröden oder lächerlich machen, sondern etwas
dazufügen, sie interessanter und zeitgemässer machen." Durch
seine Übermalungen würden sie gleichsam dämonisiert, sie seien
nun ein Zeugnis von der Kraft und der Wirklichkeit des Bösen, des Zerstörerischen
oder des Kriegs. "Sollten solche Themen nicht gemalt werden?"
Sie sollten. Auch Martin Schwarz hat sie gemalt, nicht nur in versteckter Form
wie in den "Sonntagsmalerei mit Fallgruben". Seit Anfang 1980 sind,
parallel zu diesen "Sonntagsmalereien" sogenannte "Angstbilder"
entstanden, die, wie der Künstler selber sagt, Zeugnis ablegen vom immer
weiter um sich greifenden Klima der Angst und Bedrohung, vor allem aber von
seiner ganz persönlichen Furcht vor einer ungewissen Zukunft. Es sind schwarze
Bilder in jeder Hinsicht, chaotisch in ihrer Organisation und wie mit Rost und
Russ gemalt. Zu erkennen ist in dem Gewirr vorerst kaum etwas, dann tauchen
darin Friedhöfe, Vorstadtslums und Schrotthalden auf, erleuchtet vom Blitz
gespenstischer Explosionen, manchmal auch von Balken überlagert wie von
einer brutalen Panzersperre.
Als Martin Schwarz einige dieser Bilder 1981 im Foyer des Zürcher Kunsthauses
ausstellte, lösten sie fast nur Befremden aus. Beirren liess er sich dadurch
aber nicht, sonder ging den eingeschlagenen Weg weiter, allerdings in modifizierter,
vertiefter Form. Die Bilder wurden nun trotz grösserer Formate nicht nur
klarer organisiert, sie erhielten auch gleichsam einen realistischen Hintergrund,
bestehend aus puzzleartig aufgeklebten Wirklichkeitsfetzen: Reproduktionen von
Grosstadtansichten, von Zivilisationsmüll, von Maschinen, Flugobjekten
und Waffen zum Beispiel. Über diesen Collageelementen liegt dann eine zweite
malerische Schicht, die gewisse Einzelheiten des Untergrunds verdeutlicht, andere
verschleiert und das Ganze in einen einzigen Strudel von hektischer Bewegung
und kaltem Licht reisst. "Keine Romantik" heisst eines dieser neuesten
Bilder (1983). Es ist die Vision einer gottverlassenen nächtlichen Welt,
die nur noch von Vogelscheuchen bevölkert scheint. Doch trotz Jagdflugzeugen
und Bomben, Grabkreuzen und Totenschädeln steckt auch in diesem Bild eine
versöhnliche Note: im Humor nämlich, der aus gewissen Details spricht.
Mit seinem Humor, der ohnehin eine wesentliche schöpferische Qualität
von Martin Schwarz ist, rettet sich der Künstler wiederum vor einer allzu
nihilistischen Weltsicht, auch wenn es ein sehr schwarzer - eben Schwarzscher
- Humor st.
Unter dem Titel "Malen mit Bildern" stellt Martin Schwarz bis zum
1. März (1984) im Kunstmuseum Winterthur eine Reihe dieser neuesten Werke
aus, zusammen mit einer Auswahl aus seinen "Sonntagsmalereien mit Fallgruben".
Martin Kraft: (aus "du", Nr. 4/1983)
Verwandelte Sonntagsmaler
Martin Schwarz und seine Veränderungen von Freizeitkunst
In den Veränderungen klassischer Meisterwerke,
die dann so etwas wie sein Markenzeichen wurden, ist die Auseinandersetzung
von Martin Schwarz mit den Bedingungen des Wahrnehmens und Erkennens (von Kunst),
zwischen philosophischer Spekulation und bildhaftem Ausdruck oszillierend, vielleicht
am anschaulichsten geworden. Das in der tausendfachen Reproduktion missbrauchte
und verbrauchte Werk gewinnt durch ein Moment der Irritation – ein Ueberschreiten
des "fruchtbaren Augenblicks", ein Verändern der Perspektive,
der Sehweise, der Beleuchtung – von neuem lebensvolle Wirklichkeit. Es
war dann nur folgerichtig, die Verwandlung trivialisierter Kunstwerke auf eine
triviale Bildwelt selbst zu übertragen. Das Massenprodukt Postkarte wurde
mit der surrealistischen Kombination verschiedener "Motive" zur Grundlage
phantastischer Kompositionen von irritierendem Reiz, wobei der Dom der Stadt
Köln – in welcher der Künstler sein Atelier hat – zum
verbindenden Topos jener "Imaginären Domlandschaften" wurde,
welche der kölnische Kunstverein 1981 wieder als Postkarten edierte.
Von hier war es ein vielleicht kleiner, aber entscheidender Schritt zu einer
gerne als "Postkartenmalerei" etikettierten Hobby-Kunst. Die Werke
der Kunstgeschichte hatten eine "andere Sicht" damit herausgefordert,
dass sie zuviel – diejenigen der Sonntagsmaler dadurch, dass sie überhaupt
nicht mehr beachtet wurden. Martin Schwarz fand sie bei Trödlern, auf Flohmärkten
und in Brockenhäusern, erfüllt vom Bedauern ob der Unmenge des mit
viel gutem Willen und mit viel Liebe Geschaffenen und nun völligem Vergessen
preisgeben.
Und dies ist entscheidend: dass seine Uebermalungen dieser Bilder, die er nun
zu sammeln begann, bei aller Ironie solchem Bedauern entsprangen und nicht jener
verächtlichen Herablassung, die andere Künstler dabei empfinden und
an welche die "entlarvende" Verfremdung mancher Vorlagen denken lässt.
Martin Schwarz, 1946 in Winterthur geborene, hat in seiner Heimatstadt in jungen
Jahren selber einem Verein von Hobbymalern angehört. Er zeigt sich noch
heute beeindruckt von der Ernsthaftigkeit, mit der sie arbeiteten, die Kunstgeschichte
studierten, neue Techniken diskutierten und experimentierfreudig erprobten,
beeindruckt von der Sympathie, die sie, frei von der Rivalität und dem
Brotneid vieler Professioneller, miteinander verband, beeindruckt von der aufrichten
Bewunderung auch, die sie dem Begabteren entgegenbrachten, der so freilich bald
zum Aussenseiter wurde, aber auch ausserhalb ihres Kreises eine gewisse Verbundenheit
mit ihnen bewahrte. Es ergibt sich daraus auch die deutliche Abgrenzung solcher
Sonntagsmaler gegenüber einer mit ihr scheinverwandten Strassen- und Warenhausmalerei,
die – wenn auch mit vergleichbarem Ergebnis – rein geschäftsmässig
und ohne innere Beteiligung produziert wird. Solche oft schwierigen Grenzbestimmungen
offenbaren letztlich die geistige Tragweite des Projektes: Wo ist heute, da
gelegentlich schon fehlende Malkultur als genuin künstlerische Qualität
deklariert wird, denn noch der verbindliche Unterschied zwischen professioneller
und hobbymässiger Malerei? Tatsächlich nähert sich die letztere
mit wachsendem technischem Können gelegentlich unübersehbar der ersteren,
scheint ihr naiv-erzählerischer Realismus umzukippen in einen der mehr
oder weniger aktuellen "Realismen" oder eine eigenständige Tendenz
meint. Vor solchen Werken verbietet sich dann plötzlich die umdeutende
Korrektur von selbst. Und doch tut sich dann wieder der tiefe Graben auf zwischen
einem Realismus, wie er seit dem vergangenen Jahrhundert unreflektiert weiter
tradiert und trivialisiert wurde, und einem anderen, der die heutige Unmöglichkeit
solchen Ab-Bildens mit vermittelt und so zu einer neuen, zeitgemässen Bildlichkeit
vorstösst.
Gewiss kann man auch heute noch Landschaften – nach wie vor ein Hauptmotiv
der Sonntagskünstler – malen, aber man kann sie nicht mehr in dieser
Weise malen. Das Wort "Sonntagsmaler" drückt mit aus was sie
verbindet: dass sie nur "Sonntägliches", nie Negatives malen.
Ihre unreflektierte Sehnsucht, die zur Nicht-Uebereinstimmung mit der Wirklichkeit
führt, wird zum Hauptansatz der – schon mit einem minimen Eingriff
bewerkstelligten – Umdeutung. Die Idylle erscheint plötzlich in einer
"anderen Ansicht", einer nächtlichen, im Zeichen von Tod und
Zerstörung stehenden: Der Sonntagshimmel wird schwarz verdüstert oder
lässt zwischen rosa Wolken einen Atompilz aufsteigen; vor dem Ferienhäuschen
weht die Totenkopffahne, und in der Winterlandschaft erhebt sich ein entsprechend
makabrer Schneemann. Ein Kreuz wächst voll Todesahnung aus einem Bootssteg
oder bedeckt Augen und Mund einer nun sprach- und blicklos gewordenen Heiligen;
ein Flugzeug attackiert ein Haus oder versinkt ein einem Meerhafen; ein Berg
explodiert oder befindet sich in magischer Auflösung.
Am unmittelbarsten fassbar wird der Sinn solcher Verwandlung vielleicht in jenem
Strauss von Geranien, die ein deutscher Sonntagskünstler 1943 mitten in
den Greueln des Krieges malte und die sich nun in Totenköpfe veränderten.
Solches Wissen um die Herkunft eines Bildes ist freilich die Ausnahme; die von
Schwarz "verwandelten" Künstler sind ihm persönlich durchwegs
unbekannt, zu einem grossen Teil überhaupt anonym. Die Frage nach ihrer
Individualität würde spätestens dann aktuell, wenn einer von
ihnen das (zumindest moralische) Recht auf seine unversehrte Schöpfung
beanspruchte. Doch die Uebermalung liesse sich ja, einmal fotografisch festgehalten,
am Original durchaus wieder entfernen: Die Umdeutung bleibt nicht der materiellen
Wirklichkeit des Einzelwerkes verhaftet, ist ein geistiger Akt, der von jenem
bemerkenswert homogenen "kollektiven Bewusstsein" Der Sonntagsmaler
ausgeht, welches durch ein solche Einzelwerk – eines unter Abertausenden
– repräsentiert wird.
Der erzählerische Realismus dieser Maler wird dabei zum Anlass, die Unwirklichkeit
ihrer Bilder auf die heutige Wirklichkeit hin "fortzuschreiben"; ein
Vorgang der – wie immer wieder im Werk von Martin Schwarz – die
Grenzen des Bildnerischen gegen das Literarisch-Philosophische hin überschreitet.
Ein Fortschreiben auch im wörtlichen Sinne, verbunden mit der Aufforderung
an den Betrachter, die hier vollzogene Aenderung in Worte, in eine Geschichte
zu fassen. Es gehört zu den aufschlussreichen Wechselwirkung zwischen Wort
und Bild, welche dieses Projekt sichtbar macht, dass sich bisher vor allem Maler
zu solchen Geschichten anregen liessen.
Getragen wird das Projekt vom EigenArt Verlag, den Martin Schwarz in Winterthur
gegründet hat, um mit ihm solche Projekte – eigene und zusammen mit
anderen erarbeitete – zu verwirklichen. Ein Buch mit veränderten
Bildern und dazugehörigen Geschichten ist geplant. Doch wäre das Unternehmen
damit noch in keiner Weise abgeschlossen, bliebe weiterhin nach allen Seiten
offen auf das hier nicht nur ironisierte, sondern vielleicht einmal wirklich
veränderte Bewusstsein der Sonntagsmalerein hin, das ja auch dasjenige
vieler Kunst-Betrachter ist – auf die heutige Kunst selber hin, deren
Affinität zu populären bis trivialen Denk- und Bildwelten einmal philosophierend
wie (um)gestaltend auf den Grund gegangen wird. Die Frage nach der Zeitlosigkeit
wie Zeitbedingtheit realistischer Darstellungsweise und ihrer Verkitschung,
die Frage nach künstlerischer Qualität, die sich ja weder in derjenigen
nach technischer Perfektion noch in derjenigen nach geistiger Bewältigung
erschöpft, die Frage vor allem nach Möglichkeiten und Grenzen einer
"demokratischen" Kunst, ob und inwiefern sie jedem offen steht, als
Lebenselement oder gar als von jedem einzelnen zu Erzeugendes – solche
Fragen erscheinen hier auf eine neue geistige und doch immer wieder an der bildlichen
Anschauung überprüfbare Grundlage gestellt.
Martin Kraft: (Der Landbote, Samstag, 16. April 1983)
Ein Verleger am Rande der Kunst
Ein Künstler wird zum Verleger: Dieser Entwicklungsprozess
ist Ausdruck innerer Notwendigkeit beim Winterthurer Martin Schwarz, für
den das "Kunstmachen" schon seit je die Grenzen des blossen Bildens
gesprengt hat und immer wieder auf Projekte hinführt, die sich konsequent
wohl nur in einem eigenen Verlag verwirklichen lassen.
Mit ihrem hohen intellektuellen Anspruch, ihrem stets neu ansetzenden Vorstossen
in literarische Bereiche auch, hat die Kunst von Martin Schwarz, obwohl immer
wieder zum ganz in sich selber ruhenden Bild zurückkehrend, seit je eine
starke Affinität zum Medium Buch gezeigt. Der Entschluss, einen eigenen
Verlag zu gründen, ist denn auch langsam herangereift. Entscheiden war
wohl jener Punkt in der künstlerischen Entwicklung von Martin Schwarz,
wo er, in der "Verwandlung" von vorgegebenen Kunstwerken jahrelang
die Möglichkeiten und Grenzen des Wahrnehmens und bildnerischen Sich-Mitteilens
erprobend, die vielfältige Bildwelt der Ansichtskarten entdeckte: Tausendfach
verbreitete triviale Vorlagen, die nach verändernden Eingriffen plötzlich
auf eine surreale, künstlerische Ebene mit vieldeutiger Aussage gehoben
wurden.
"Grüsse von der Westkunst"
War es da nicht einzig konsequent, diese neuen "Postkarten" in serienmässiger
Produktion auf höherer Ebene wieder ihrer ursprünglichen Verwendung
zuzuführen? In Köln, wo Martin Schwarz abwechselnd mit Winterthur
arbeitet, fand 1981 die weltweit beachtete, grossangelegte Übersichtsausstellung
"Westkunst" statt; und die Postkartenserie "Grüsse von der
Westkunst" war denn auch das erste Verlagsprojekt, das der Künstler,
gemeinsam mit dem renommierten Kölner Buchhändler Walther König,
verwirklichte. Solche Gemeinsamkeit ist ein Wesensmerkmal des EigenArt-Verlags
geblieben: Er dient wohl jenen Projekten, die sich ohne ihn nicht verwirklichen
liessen, kapselt sich aber nicht in falschverstandener "Autonomie"
gegen andere ab, wenn sich dasselbe Anliegen besser in Zusammenarbeit mit ähnlich
orientierten Unternehmen verwirklichen lässt. Was natürlich nicht
zuletzt eine wirtschaftliche Frage ist: Bei aller Unabhängigkeit des eigenen
Produzierens lässt sich das so oder so grosse Risiko wesentlich vermindern.
Solche Zusammenarbeit kann sich auch auf den Vertrieb beschränken, auf
die Mitbenutzung einer bestehenden gutorganisierten Verteilstruktur, umgekehrt
auf die freundschaftliche Propagierung eines "fremden" Produkts im
eigenen Interessentenkreis.
"Am Rande der Kunst"
Das erste ganz im Alleingang verwirklichte Projekt war dann 1981 die Begleitpublikation
zur grossen Werkschau im Zürcher Kunsthaus, ein Ausstellungskatalog und
doch viel mehr als dies. Unter dem Titel "Am Rande der Kunst" umkreist
hier Martin Schwarz schreibend, deutend, dokumentierend das eigene Schaffen,
es vertiefend und zugleich in höhere Bezüge stellend, Bezüge
vor allem zum Malerdichter Gottfried Keller, dem sich der schreibende Maler
Martin Schwarz, aus Anregungen des verehrten Meisters Kunstäusserungen
von brisanter Aktualität gewinnend, über die Zeiten hinweg verbunden
weiss.
Wenn hier der Verlag ganz im Dienste des eigenen Werkes steht, so bedeutet das
letztlich nicht mehr, als dass sich dieses Werk erst in eigener verlegerischer
Tätigkeit voll verwirklichen lässt, die aber ebenso auch befreundeten
anderen Künstlern dient: Von verschiedenen geplanten Grafik-Editionen ist
bisher eine Serigrafie des Malerfreundes François Viscontini entstanden,
bei deren kompliziertem Herstellungsprozess Martin Schwarz massgeblich verlegerisch
mitgewirkt hat.
"Verwandelte Sonntagsmaler"
Während früher einmal die Veränderungen klassischer Meisterwerke
eine Art Markenzeichen von Martin Schwarz waren, führt er gegenwärtig
das damals Erprobte in der Verwandlung von Freizeitkunst konsequent weiter:
Am Anfang stand die Begegnung mit jenen Werken von Sonntagsmalern, die scharenweise
in Brockenhäusern und auf Flohmärkten herumstehen und deren künstlerische
Energien – die meist in einem so kläglichen Missverhältnis zum
wirklich Geleisteten stehen – Martin Schwarz nun teilnahmsvoll mit subtilen
Eingriffen zu neuer Spannung und Aktualität erweckt: Da wird die "sonntägliche"
Idylle plötzlich wieder in jener Fragwürdigkeit und Brüchigkeit
gezeigt, über die ihr Schöpfer in so hilflos verräterischer Weise
hinwegzutäuschen versuchte: Der ewigblaue Himmel verdüstert sich schwarz,
die Landschaft steht im Banne technischer Zerstörung oder ist von seltsamen
Gestalten und Zeichen bevölkert.
Gerade die geistige Tragweite solcher Veränderungen sprengt freilich den
Rahmen des (zunächst dilettantischen) Bildens. Der erzählerische Charakter
dieser Malereien wird zum Ausgangspunkt, nun auch ihren vieldeutigen Verwandlungen
von neuem erzählend nachzugehen. Und tatsächlich haben sich schon
zahlreiche (teils bekannte) Autoren von diesen verwandelten Sonntagsmalern zu
eigenen Geschichten anregen lassen. Gerade hier wird das Ziel ein (wohl nur
im eigenen Verlage mögliches) Buch sein, das die Bilder und ihre möglichst
zahlreichen sprachlichen Umsetzungen im vieldeutigen Bezug zueinander zeigt.
In ihrer irritierenden Bildhaftigkeit ist diese "Sonntagsmalerei mit Fallgruben"
– so der Ausstellungstitel – nun zunächst erstmals in einer
zusammenfassenden Übersicht in der Kunsthandlung Walter Lüssi in Winterthur
zu sehen. Eine Auswahl von Bildern verbindend besteht dazu auf Tonband das Gedicht
"In den Bärgen – sind nicht nur Zwärgen" von Albrecht/d.,
Stuttgart.
Die Ausstellung dauert bis zum 29. April 1983
Monika Jühlen (Bonner General-Anzeiger, 25.2.1982):
Gut Freund mit alten Meistern
Werke von Martin Schwarz in der Galerie Klein
Während die jungen Maler früherer Generationen
voller Ehrfurcht zu den alten Meistern aufblickten, scheinen die Künstler
von heute mit ihren grossen Kollegen von gestern recht vertraulich zu verkehren.
Es ist gewiss ein beachtenswertes Phänomen, dass sich gerade in einer Zeit
vielgestaltiger ästhetischer Neuorientierung das Spiel mit Zitaten aus
der Kunstgeschichte als nahezu unerschöpflicher "Dauerbrenner"
der internationalen Szene entpuppt hat.
So respektlos, wie sie auf den ersten Blick wirken mögen, sind diese augenzwinkernden
Hommagen an die Grossen von einst gewiss nicht gemeint. Sie beweisen vielmehr,
dass die Avantgarde nicht nur geistreich zu reflektieren versteht, sondern durchaus
einen ebenso ausgeprägten Sinn für intelligenten, hintergründigen
Humor besitzt. Doch es soll nicht bloss gelacht werden: Hinter der spassigen
Eulenspiegelei steckt eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit der Fragwürdigkeit
von Wirklichkeit und Abbild, einer Problematik die – seit sich die Kunst
von der Bindung an den Gegenstand befreit hat – auf der Grundlage verschiedenster
Theorien diskutiert und bisweilen gar ad absurdum geführt worden ist. Die
Kunst als Thema der Kunst, die Entthronung des Genies und die Selbstbespiegelung
des Künstlers gehen – wie fast alle Glaubensbekenntnisse der Avantgarde
– im Ansatz auf den Dadaismus zurück – man denke nur an Francis
Picabias bissiges "Porträt de Cézanne" in Gestalt eines
Affens.
Zu den brillantesten, raffiniertesten und witzigsten Parodisten der Ahnen von
Rembrandt bis Pollock gehört der 36jährige Schweizer Martin Schwarz,
dessen Bilder, Collagen und Übermalungen bis zum 13. März in der Galerie
Klein zu vergnüglicher Besichtigung einladen. Auf ironische Weise verwandelt
Schwarz bei seinen Diptychen und Serien altbekannte, massenweise reproduzierte
Vorlagen, die einerseits beim Betrachter spontan ein wohliges Gefühl der
Vertrautheit wecken, ihn andererseits aber auch durch trickreiche optische Fallen
immer wieder auf höchst genüssliche Weise irritieren, um schliesslich
über den Umweg der Verfremdung "Original und Fälschung"
gleichermassen neu erfahrbar werden zu lassen. Indem er die üblichen Sehgewohnheiten
kurzerhand auf den Kopf stellt, appelliert Schwarz also auch an eine Regeneration
der herkömmlichen, auf leicht verdauliche Konsumierbarkeit ausgerichtete
Rezeption des Kunstwerks schlechthin, wobei er zugleich eine Brücke zwischen
Tradition und Erneuerung zu schlagen versteht.
Weit über den reinen Schmunzeleffekt hinaus vermitteln seine Werke Denkanstösse,
die mit bisweilen bewusst vordergründigen Effekten die Klassiker vom Sockel
zu holen und in menschliche und allzu menschliche Dimensionen zurückzuführen.
Verschämt verbirgt Ingres "Odaliske" ihr Gesicht, blonde Lockenpracht
bedeckt Dürers Antlitz, Amor und Psyche lieben sich im Vogeklkäfig,
Altdofers Madonna versinkt in den giftigen Dämpfen eines Atompilzes und
von einer vielfigurigen, turbulenten Breughel-Szenerie bleibt nur eine einsame,
geknechtete Gestalt vor einer düsteren Architekturkulisse mit einem winzigen,
Vergänglichkeit verheissenden Stilleben im Vordergrund.
Ebenso wie das gleichsam korrigierende Umdeuten gehört die Verhüllung
zu Martin Schwarz‚ wesentlichen Stilmitteln, gleich ob er nun Rembrandts
"Nachtwache" in tiefe Dunkelheit versenkt, die Kerze von de la Tours
"Madelaine" langsam erlöschen lässt oder schliesslich van
Goghs Sternenhimmel in totale Finsternis eintaucht. Auch das sicherlich wichtigste
Bild der Ausstellung – die düstere, von Spuren der Zeit durchzogene
Neuschöpfung des verschollenen "Klosterfriedhofs im Schnee" von
C.D. Friedrich – ist in diesem Zusammenhang zu verstehen. Nicht minder
unbekümmert verfuhr Schwarz mit dem Kölner Dom, den er in einer zur
Ausstellung "Mein Kölner Dom" im Kölnischen Kunstverein
geschaffenen Collage-Serie mittels Schere und Klebstoff an den Canale Grande,
in ein Indianer-Camp oder eine Alpenlandschaft verfrachtete.
In seinen jüngsten Gemälden malt sich Schwarz ohne Rückgriff
auf Zitate seine eigenen Ängste von der Seele: Die aufgewühlten, explosiven
Kompositionen mit wild in den Raum geschleuderten Formfragmenten, gepeinigten
Körpern und mahnend aufragenden Grabkreuzen stehen nur scheinbar im Widerspruch
zu den sinnesfreudigen Bildern früherer Jahre, in denen jene dumpf melancholische
Memento-Mori-Stimmung bald verhalten, bald eindringlich spürbar war.
Lili Sommer: (Basler Magazin, Nr. 2, 9. Januar 1982)
Bilder der Angst
Eigentlich wäre es ein Leichtes, Martin
Schwarz als Schwarzmaler abzutun. Schwarz ist seine Lieblingsfarbe und er hat
eine Serie Angstbilder gemalt.
Bis im Sommer 1980, fünfzehn Jahre lang, war ein altes Stellwerkhäuschen
dem Winterthurer Künstler Martin Schwarz Atelier und Zuflucht. Baggerzahn
und Pressluftbohrer vertreiben ihn aus der Scheinsicherheit dieses Schlupfwinkels.
Vorher habe er noch über seine Angst gelacht, an einem geliebten Ort die
Türe zum letzten Mal zu schliessen. In der Folge sind seine Angstbilder
entstanden, mit Bildtiteln, die nicht nur auf Angst, sondern auch auf Aggression
hindeuten: "Tödliche Destruktion", "Wirbelndes Chaos",
"Verlorengegangene Erlösung", "Kriegerische Paranoia".
Heute wohnt und arbeitet Martin Schwarz in einem ehemaligen Pfarrhaus, vis-à-vis
der Kirche und am Rande des Friedhofs von Oberwinterthur, dem "Hohlandhaus",
mit Blick auf die Industrievorstadt und einem Heer von Gräbern. Zufall
oder gar schwarzer Humor? Der 35jährige Künstler macht aus seiner
Faszination für alte Gräber, für das Vergängliche überhaupt,
keinen Hehl. In seinem neuesten Bildband "Am Rande der Kunst" sticht
unter einer Serie Photographien von verfallenden Gräbern eine Grabplatte
mit dem Namen Martin Schwarz hervor. Im Text daneben steht: "Empfand der
Träger dieses schwarzen Namens vor seiner ewigen Nacht, so wie ich, sich
manchmal nur als einen Schatten und sein Leben als einen Irrtum und einen Traum?"
"Am Rande der Kunst – teilweise dem Grünen Heinrich nachempfunden
– eine Bildergeschichte" hat Martin Schwarz anlässlich seiner
letztjährigen Ausstellung im Kunsthaus Zürich mit der Unterstützung
von Pro Helvetia im EigenArt-Verlag herausgegeben. Eine ziemlich textlastige
Bildergeschichte, in der sich der Autor zeitweise mit Gottfried Kellers autobiographischer
Romanfigur, dem Grünen Heinrich, identifiziert und, in zum Teil fiktiven
Personen unterstellten Monologen, nach dem Sinn der Kunst, des Seins überhaupt,
bohrt. Den Versuch, dem Schein und der Wirklichkeit verbal auf die Spur zu kommen,
betrachtet er nach diesen "vielen Wörtern" als gescheitert.
Ähnlich dem jungen Gottfried Keller, der sich in München malend zu
der Erkenntnis durchrang, die Malerei zugunsten der Schriftstellerei besser
aufzugeben, brachte das Schreiben dieser Texte Martin Schwarz die Einsicht,
künftig der Malerei absolute Priorität einzuräumen. Er will sich
nun nicht mehr darin erschöpfen, den Bildern zu misstrauen. "Früher
hinterfragte ich vorerst einmal jede Wahrnehmung, bevor ich mich an ein Bild
heranwagte", sagt er, "heute brauche ich nicht mehr alles zu wissen".
Heinrich von Kleist sei am Gedanken, dass alles eine umfassende Illusion sein
könnte, verzweifelt. Beinahe sei es ihm ähnlich ergangen.
Ab 1968, nach einer Graphiker-Lithographenlehre, figuriert Martin Schwarz als
freischaffender Kunstmacher auf seiner offiziellen Biographie. Bis 1972 realisierte
er, intrigiert von den unzähligen optischen und akustischen (Täuschungs-)Möglichkeiten,
Bewegungsstudien, Kommunikationsinstrumente, verspiegelte Objekte und visualisierte
Begriffe. Versuche, das NICHTS sichtbar zu machen, führten zu seinen Abwesenheits-,
Verhüllungs- und Metamorphosebildern. Bestandene Klassiker, unter der Ehrfurcht
des Kunstpublikums seit Jahrzehnten und Jahrhunderten zu Kunstdenkmälern
erstarrt, erfuhren durch Verfremdung Erweckung aus dem tödlichen Stillstand.
Da gab es plötzlich keine liegende Maya mehr auf Goyas berühmten Gemälde,
nur noch den Abdruck ihres Körpers auf dem Kissen, oder von Brueghels Turm
zu Babel blieb nur noch ein Trümmerhaufen zurück, und über einen
Mondrian kletterte als Widerspruch eine Efeuranke. Mehr als ums Rütteln
an Kunstdenkmälern ging es Martin Schwarz beim Übermalen der Farbdrucke
darum, das Bild hinter dem Bild sichtbar zu machen und nach dem Raum hinter
der geschlossenen Türe zu fragen.
In seinen jüngsten Werken wählte er weniger oft den Umweg über
Bestehendes, die Angstbilder könnten direkter nicht sein.
Als ich Martin Schwarz an einem der letzten sonnigen Herbsttage besuchte, blieben
die dunklen (schwarzen?) Vorhänge vor den kleinen Fenstern beharrlich zugezogen.
Wollte er die Ängste und Zweifel im Haus einschliessen, um sie später
mit Pinsel und Acrylfarbe zu fixieren? Versuchte er sie aufzuhalten, auszuhalten?
Schwarz sei nicht unbedingt die Farbe der Trauer und des Todes, belehrte mich
der mit Vorliebe schwarzgekleidete Martin Schwarz. "Für mich symbolisiert
sie das Geheimnis".
Die Angstbilder als Zeuge einer Eskalation der Furcht in seiner gegenwärtigen
Existenz auszulegen, findet er verfehlt. "Angst manifestiert sich auch
auf meinen früheren Verfremdungsbildern, denn Angst hat viele Gesichter",
meint er. Angst kann der übermächtige Kölner Dom an Rande eines
lieblichen Bergbächleins sein. Angst ist eine Menschenmenge, die nirgends
endet, in der die Individualität des einzelnen zum Punkt schwindet. Angst
spricht aus dem "Versteck der Liebe", die Angst vor dem Verschlungenwerden
in der Verschlingung.
Martin Schwarz kennt seine Ängste, Angst vor Lähmung, Eingesperrtsein,
nicht arbeiten können. Furcht vor Krieg, Zerstörung, Weltuntergang,
die Ängste unserer Zeit, hat er seismographisch registriert und bildlich
umgesetzt.
Die Ausstellung Martin Schwarz in der Galiere 57, Seevorstadt 57, in Biel, ist
noch vom 11. bis 16. Januar 1982 geöffnet.
Martin Schwarz:
Text zu den imaginären Domlandschaften.
Edition Kölnischer Kunstverein 1981
Der Kölner Dom und sein Überirdisches auf Erden
Ich komme aus der Bahnofshalle und imponierend
hoch und gross, wenn es nicht so ein verbrauchtes Worte wäre, würde
ich sagen "wunderbar", bemächtigt sich der Dom meiner sehenden
Augen. Dann frage ich mich, welche Sehnsucht nach einer höheren Welt, deren
Bilder und Begriffe des unzweifelhaften Glaubens es ermöglich haben, dass
dieses kolossale Mauerwerk gestaltete Wirklichkeit wurde. Geisteswelten müssen
es gewesen sein, durchdrungen von verehrenden Huldigungen, knechtenden Schicksalen
der Jenseitsfurcht, verzichtender Demut in Frömmigkeit und Hoffnung auf
Ewiges. Grösstenteils entleert von solchen Sinngehalten steht heute der
Dom, immer noch verletzt von den barbarischen Kriegsgewinnern, verloren, entwürdigt
zwischen Foto- und Souvenirläden, verlottert durch die Anwesenheit der
Domlotterie und umvölkert mit den nihilistischen Prozessionen von Rollbrettfahren,
Touristengaffer und Rockkonzertaggressoren. So sind die Krämer nicht weit
aus dem Tempel getrieben, und für sie ist die Dommauer keine undurchdringliche
Grenze. Der Dom ist wie ein monumentales Denkmal für Gott, der wie viele
glauben, nie existierte, und der sich darum von uns Menschen nicht abwenden
kann oder sich vertreiben lässt. Das Gute ist selbstloses Mühen, sagt
man, so auch dieses Werk der vergebenen Sehnsucht, dass letztlich unser Dasein
nicht dem Nichts angehört. Ist der Dom nur noch ein Souvenierartikel vergangener
Träume, den niemand in die Tasche stecken kann? Die Ernüchterung und
die Aufklärung hilft uns der "weltlichen Realität" näher
zu sein, mit ihren politischen Machtspielen, mitreissenden Tanzmoden und psychologischen
Deuteleien, jedoch getrennt von Büssen, Betten und Pilgern. Immer unberührter
gehen die Menschen vorbei an dem Tempel der Verehrung Gottes (und dieser Gott
soll die Liebe sein) in die Niederungen der "Hohen Strasse". Dort
begegnen wir dann schon bald den heutigen Liebemachereien. In den exhibionistischen
Schaufenstern der Sex-Shops sehen wir die Stachelgummireibgeräte und das
Lederfett, das der Gefühlsverarmung in der höllischen Analhöhle
dient. Sowenig oder soviel wie die werdende Fruchtbarkeit, die in einer anderen
Höhle beheimatet ist, mit den Ausscheidungen zu tun hat, so nah oder so
fern ist die Liebe mit den Leiden verbunden, ist das Irdische vom Überirdischen
getrennt.
Niemand weiss die Wahrheit, alles ist absurd, unergründlich und geheimnisvoll,
"denn nur der Irrtum ist das Leben und das Wissen der Tod", und wir
beginnen erst zu erkennen, wie wenig wir wissen. Vielleicht muss der Dom, seinem
transzendierenden Sinn entsprechend, immer der Welt fremd bleiben und könnte
darum seinen heimatlosen Platz eigentlich überall auf unsere Erde haben.
Caroline Kesser: (Tages-Anzeiger, 18. Dezember 1978)
Die fliessenden Grenzen der Bedeutsamkeit
Zu den Werken von Martin Schwarz in der Winterthurer Galerie ge
Auf Friedhöfen in Köln ist Martin Schwarz
(1946 in Winterthur geboren) aufgelösten Gräbern begegnet, die dem
natürlichen Zerfall überlassen wurden. Das langsame Versinken menschlicher
Existenz hat er darauf in der Photoserie "Verlorene Namen" festgehalten.
Es war nicht nur das ungewohnte Aussehen dieser Gräber, das ihn anzog.
Martin Schwarz sah sich durch sie auf eigenartig eindringliche Weise mit der
Vergänglichkeit konfrontiert – ein Thema, das ihn immer wieder beschäftigt.
Die "Entweihung" der letzten Ruhestätte durch die wuchernde Natur
steht potenziert für das Tabu, mit dem die Vorstellung des Todes belegt
ist. Gleichzeitig ist sie eine Antwort auf die von Schwarz immer wieder gestellte
Frage nach den Merkmalen der Bedeutsamkeit und den Grenzen des individuell Bedeutsamen.
Wenn er eine 1600fältige Porträtgalerie illustrer Männer gerade
so weit übermalt, dass die Hülle der Persönlichkeiten bestehen
bleibt, die Individualität aber ausgelöscht wird, nimmt er einen Eingriff
vor, dessen Konsequenz zu den Vorgängen auf den Kölner Friedhöfen
führen würde, wo mit dem Namen das letzte Anzeichen für ein Menschendasein
verschwindet.
Bei seinen Bearbeitungen berühmter Kunstwerke ist etwas ähnliches
zu beobachten: Seine Verfremdungen, die er durch Übermalen, Umkehren, Reduzieren
oder Weglassen erreicht, sind nicht bloss optische Irritationen. Sie zeigen
gerade auch, wie weit das Charakteristische eines Bildes den äusseren Eingriffen
standhält, durch sie hervorgehoben oder verwischt wird. Die mit schwarzer
Ölfarbe übermalten Sonnenblumen Van Goghs leben aus der Spannung zwischen
bewahrter Originalität und ihrem ins Gegenteil verkehrten Ausdruck. Dadurch,
dass Schwarz einen Reiter Kandinskys stürzen lässt, die Komposition
dabei möglichst wenig verändert, fordert er zum genaueren Betrachten
des Originals auf, vor dem dann etwa Kandinskys Abstraktionen verständlicher
werden.
Wahrnehmungs-Irritationen
Dass unsere Wahrnehmung auch weitgehend von unserer Imagination bestimmt wird,
zeigt Martin Schwarz mit einer Reihe übermalter Photocollagen, seinen "Wahrnehmungs-Irritationen".
Als Vorlagen hat er vielfigurige Photos benützt, wo der einzelne fast schon
zum Punkt aufgelöst ist. Ausgehend von der vorhandenen Bildstruktur und
den besonderen Tonwerten, bringt er mit dem Pinsel Verunklärungen an, so
dass die Grenzen des konkreten Bedeutungsträgers Bild und der Nebelzonen,
in die nur noch hineinprojiziert wird, ins Fliessen geraten. Am stärksten
sind jene Arbeiten die die formale Auflösung mit einer inhaltlichen parallel
gehen lassen, wie dies bei einer Begräbnisszene sehr gut gelungen ist.
Spielkarten, die eine bemalte Rückseite, aber kein erkennbares Bild enthalten,
bietet Schwarz zum imaginären Spiel an. Das Ausgelöschte soll wieder
mit Inhalten gefüllt werden.
Bild und Text
An der letzten Zürcher Weihnachtsausstellung war Martin Schwarz nur mit
einem Text vertreten. Statt ein Bild aus der Sammlung des Kunsthauses zu variieren
oder zu zitieren, wie der Auftrag lautete, hat er eine Geschichte erfunden,
die das Lebendigwerden von Füsslis "Schweigen" beschreibt. Das
Wort spielt bei ihm nach wie vor eine grosse Rolle. Mit Texten, die er neben
ein Bild setzt, bringt er den sprachlichen Ausdruck in die Nähe des bildnerischen.
Umgekehrt verleiten ihn geschriebene Worte zur Umsetzung ins Bild. Manchmal
fühlt er auch ganz einfach die Notwendigkeit, über seine gestalterische
Arbeit aufzuklären. Schwarz ist ein Künstler, der andere beim Wort
nimmt, den man selber beim Wort nehmen darf, der noch verstanden werden will.
Die Ausstellung dauert bis zum 5. Januar 1980
Tilman Osterwold:
Zu den Bildvariationen von Martin Schwarz:
Die Vorstellung von Systemen – das System der Vorstellung
Die Versuche des Menschen, bestehende Wirklichkeit
mitsamt ihren Erfordernissen durch idealistisch geprägte Vorstellungen
und Bilder zu überhöhen oder auch zu verdrängen, fanden seit
jeher Unterstützung durch bestimmte Philosophien, Ordnungssysteme, ethische
Vorstellungen, epochale Weltanschauungen und anderes. Sie binden die Tätigkeit
des Menschen in Grundregeln, die seinen Erfahrungsaustausch mit den Dingen,
seine Einwirkungen auf die Dinge relativieren und in den höheren Zusammenhang
einer Wirkungsgeschichte einordnen. Im wesentlichen gehen derartige Vorstellungen
von dem Erfolg des Menschen aus, pressen ihn sogar zuweilen in einen Leistungszwang,
der alle menschliche und augenblickliche Tätigkeit auf irgendwo angesiedelte
Ziele von Glück, Freiheit, Fortschritt oder ähnlichem hin orientiert.
In der Regel überschreitet der Mensch dabei eine Gegenwart, deren Inhalt
sich aufgrund realer Konstellationen möglicherweise in eine Gegenrichtung
hinein orientiert, die dem Interesse und den Hoffnungen des Menschen zuwider
läuft und ihm auch meist zuwider ist: In die Richtung der Vergänglichkeit,
der Katastrophe, des Chaos, des Nichts. Hier könnte Martin Schwarz ansetzen:
So sehr der Mensch auch weiss, dass seine Entstehung, seine Tätigkeit,
seine Erfolge und seine Hoffnungen aus dieser Ursubstanz des Nichts heraus entstanden
sind, besteht sein zentrales Bemühen in der Ordnung und Systematik undurchschaubarer
chaotischer Zusammenhänge; sein fortschritts-euphorischer Erfolgszwang
ist auf Angst vor dem "Rückfall" in ein ungewisses Nichts aufgebaut.
Dabei vergisst der Mensch möglicherweise, dass dieses Nichts keine Leere,
sonder in seiner Fülle alles ist, dass es Substanz und Gegenwart ist, dass
der Zyklus zwischen Werden und Vergehen, zwischen Zerstörung und Hoffnung
ein von der Natur her gegebener und von den Vorstellungen, Bildern, Tätigkeiten
und damit geschaffenen "Sicherheiten" des Menschen nicht zu durchbrechender
Zusammenhang ist. So beruhen Bilder auf Täuschungen, Vorstellungen und
Fiktionen, Sicherheit, Systeme, Ordnungen auf Verdrängungen.
Der Verzicht auf Vorstellungen – Die Vorstellung von Verzicht
Ein künstlerischer Ausdruck unserer Zeit, der sich auf ein romantisches
Bild bezieht, mag diesen Verdrängungsmechanismus erklären: Die verschollene
Weimarer Landschaft mit dem Regenbongen von Caspar David Friedrich (1810) wurde
von Martin Schwarz auf heutige Bewusstseinsstufen hin korrigiert (s. Abb.).
Friedrich hatte in seinem Bild an Goethes Gedicht "Schäfers Klagelied"
angeknüpft und den Regenbogen als Motiv menschlicher Sehnsucht nach Freiheit
– auch im Sinne von Liebe und Hoffnung – vor einen dunklen Himmelsgrund
über eine schlichte Landschaft gesetzt. Ein abgebrochener Baumstumpf macht
die Vergänglichkeit präsent, während der Mensch seinem Sehnen
nach Leben, Liebe und Zukunft nachgeht. Der Regenbogen geht vom Menschen aus
wie die Sprechblase eines Gedankens in eine ungewisse Ferne, mit dem er aus
seiner Einsamkeit heraustreten will. Der Regenbogen steht als Wille und Gefühl,
aus persönlichen Quellen heraus in eine ungewisse Welt einzutreten und
Kontakt mit dem kosmischen Ganzen der Natur und Gott – menschlich realisiert
in der Sehnsucht nach Liebe – zu verbinden. In der veränderten Kopie
von Martin Schwarz fehlt der Hinweis auf die menschliche Vergänglichkeit
(Baumstumpf), der Hirte als persönlicher Ausdrucksträger innerhalb
der Natur, sowie der Regenbogen im Gefühlsdialog zwischen Mensch und Natur.
Allerdings, der Himmel ist gelichtet, der Kondensstreifen eines Jets zieht seine
Bahn – "über die Wolken" in eine "grenzenlose Freiheit"?
Schwarz‚ Verfremdung des Friedrichschen Bildes enthält Melancholie:
denn grenzenlose Wünsche und Gefühle haben etwas mit Ungewissheit
zu tun. Der Regenbogen ist kein Garant mehr für eine bessere Welt, man
verzichtet besser auf ihn, nimm ihn – wie Schwarz – im wörtlichen
Sinne aus dem romantischen Bild heraus. Er macht damit deutlich, wie in sich
geschlossen das romantische Weltbild im Vergleich zum unsrigen war; der Bogen
den Friedrichs Bild schliesst und bindet das Verhältnis Mensch-Natur-Welt:
Die rechts heraustretende, in ungewisse "über die Wolken" angesiedelte
Ferne gleitende Linie des Kondensstreifens wird sich irgendwo verlieren. Möglicherweise
führt diese von Technologie geprägte zarte Linie ins Nichts, und die
"grenzenlose Freiheit" entlarvt sich als optische Täuschung bzw.
Fata Morgana. Der Verzicht auf den Regenbogen bedeutet Verzicht auf Euphorie
und Traumbilder von Glück, Fortschritt und falscher "Romantik".
Die Hoffnungsfreude auf eine bessere Welt wird als Seifenblase menschlicher
Unfähigkeit entlarvt, wenn man meint, die Gestaltung einer besseren Welt
durch den Glauben an Bilder zu ersetzen, wobei der Regenbogen das romantisierende
Bild und Zeichen unserer Zeit ist (s.T.O. in: Regenbögen für eine
bessere Welt, Württ. Kunstverein, 1977, S.42 f.).
Der Frei-Raum und die Fülle des Nichts
Martin Schwarz hat bestimmte Bilder der klassischen Kunstgeschichte für
seine reproduktiven Veränderungen ausgesucht, die eine Aussage treffen
über die Art der Vorstellungen, mit denen der Mensch versucht, über
die reale Dingwelt hinweg Brücken zu absoluten Erkenntnissen und Ordnungen
zu schlagen: z.B. Glaube, Hoffnung, Liebe, Friede, Fortschritt, Freiheit, Glück,
Schönheit, Illusion, auch Kunst als Ausdrucksträger introvertierter
und esoterischer Haltungen und Vorstellungen. Die Geste des Verhüllens,
der Verneinung, die Martin Schwarz in seinen Veränderungen vornimmt, betrifft
die Illusionen und Vorstellungen von der Realität, nicht die Realität
der Dargestellten selbst. Die Abwesenheit nimmt den Dingen ihre strahlende positive
Gegenwart, die Verhüllung verleiht ihnen eine geheimnisvolle Realität,
das Ende führt sie wieder auf den Anfang zurück, das Bild wird durch
die Veränderung in einen zyklischen Zusammenhang von Werden und Vergehen
gestellt (wenn alles Irdische vergeht, warum nicht Bilder und Illusionen). Es
wird von einer ironsichen feinfühligen Melancholie hinterfragt und neu
entdeckt. Scheinbar desillusioniert fängt nun der Betrachter an, das Leben,
die Abwesenheit, den Anfang wieder neu zu suchen, dabei die Vorstellungen und
Systeme und Festlegungen zu relativieren. Martin Schwarz‚ Gegenbild ist
nicht destruktiv, es gibt der Vorlage und den darin enthaltenen Dingen eine
andere Möglichkeit ihres Erscheinens. Sein "Bild" entspringt
einer persönlichen Entscheidung, einer anderen Regie und Haltung, Schwarz
widersetzt sich nur scheinbar der vorausgegangenen künstlerischen Entscheidung.
Seine Regie geht von den in der Bildvorlage enthaltenen, aus der Realität,
aus der künstlerischen Haltung oder Komposition gewonnenen Ausgangspunkten
aus. Jeder Vorhang kann auch geschlossen werden, jedes Licht kann erlöschen,
jedes Auge kann schliessen, jede Landschaft kann menschenleer sein. Von rückwärts
betrachtet kann jeder Vorhang wieder geöffnet werden, jedes Licht aufleuchten,
jede Landschaft bevölkert werden, jeder menschliche Blick sich frei machen,
jede Schönheit ausstrahlen. Das Negative und das Ende legt den Anfang und
das Positive frei. So ist jede Veränderung von der ursprünglichen
Bilderscheinung weg zugleich auch eine Entstehungsphase auf das Bild und seine
Erscheinungsträger hin. Die Erscheinungswelt der Dinge wird in den Bildern
selbst aktiv: Sie, die vorher Teil eines zur Absolutheit gewordenen Augenblicks
und dabei an übergeordnete Vorstellungen und Illusionen gebunden, damit
auf Systeme hin festgelegt sind, werden durch das Schwarzsche Gegenbild ihrer
absoluten Einmaligkeit enthoben und auf ihre sich ständig verändernde
Wirkungs- und Erscheinungsformen, auf ihr zyklisches Dasein augenblicklich zurückgeführt.
Das System festgelegter Vorstellungen und Bilder wird aufgehoben – dass
alles so ist wie es sein soll und immer war und auch so bleibt. Aktiviert wird
die an jeden Menschen gebundene Erkenntnisfähigkeit, dass Dingwelt, menschliches
Sein und Gestaltung aus allen Frei-Räumen und aus der Fülle des Nichts
entstehen können – im ursprünglichen Sinne vielleicht sogar
sollten.
Walter Aue: (Berlin, d. 6. Oktober 1975)
Das Leben im Kopf
Martin Schwarz ist ein Konzeptkünstler, der den
Kunsthistorikern und Museumsdirektoren das Fürchten lehrt: er zerstört
ihre Kultur-Denkmäler. Er demontiert und manipuliert das Bestehende und
Endgültige. Ein erregender Prozess, der uns herausfordert, der uns in tiefste
Zweifel stürzt: DASS BILDER SOLCHE MACHT HABEN KÖNNEN, dass die Veränderung
dieser Bilder die Machtlosigkeit unseres eigenen Wissens entlarvt. ES ZEIGT,
WELCHE UNSICHERHEIT HERRSCHT IN DEN DINGEN, MIT DENEN WIR UNS BESCHÄFTIGEN.
Unvergessliche Bilder, die sich in unser Gedächtnis eingeprägt haben.
Bilder von Ingres, Leonardo da Vinci, C.D. Friedrich, Goya, Feti, Poussin oder
Bruegel. Ihre Figuren erschienen uns endgültig, ihre Gegenstände unverrückbar,
ihre Darstellung verbindlich beschrieben, ihre Existenz ohne Zweifel. Doch unsere
Arglosigkeit hat uns passiv und bedürfnislos gemacht, die Welt der Bilder
verwandelte sich in eine Welt der BLINDEN Anerkennung. Es schien, als hätten
Künstler nur die Bilder erfunden, um darin die Wörter Ihrer Interpreten
unterzubringen: EINE GEHINRKUNSTFERTIGKEIT der Wort-Erfinder, der wir uns unterwarfen,
EIN GEWOHNHEITSVERBRECHEN, dem wir uns nicht zur Wehr setzten. Das Eigenleben
der Bilder erstarrte, verlor sich, wurde von den zahllosen Wörtern der
Erkenntnisfanatiker erdrosselt. Die Bilder wurden zum Erinnerungsfetisch ihrer
selbst: von Gehirn zu Gehirn gereicht, gespeichert in den Archiven der Spezialisten
und Sammler. Aber EXISTENZ IST IRRTUM (sagt Thomas Bernhard), der Irrtum ist
folgerichtig die einzige reale Grundlage. Und an diesem Erkenntnispunkt setzt
die Idee von Martin Schwarz DEM TÖDLICHEN STILLSTAND DER BILDER unvermittelt
ein Ende: was Wirklichkeit war, ist nicht mehr Wirklichkeit, was für immer
feststand, ist für immer ohne festen Halt. Für die meisten ANBLICKSAMMLER
ist eine solche Veränderung der vorgegebenen Realität eine tödliche
Kunstkatastrophe. Gewöhnt an das Syndrom für Zuverlässigkeit,
erblindet im Ordnungsprinzip der wissenschaftlichen Karteikästen, beobachten
wir staunend und fassungslos die Zweitgeburt der europäischen Klassiker.
Martin Schwarz sagt, Wir erkennen durch die Gegensätze: SEHEN UND NICHTSEHEN,
ANWESEND UND NICHTANWESEND, VORHER UND NACHHER. Ein Vorhang verdeckt die Sicht
oder gibt die Sicht frei. Das Schweisstuch der heiligen Veronika fällt
zu Boden. Von der liegenden Maya bleibt nur der Körperabdruck zurück.
Vom Turm zu Babel nur ein Trümmerhaufen. Die Landschaften beginnen sich
zu verändern, die Tageszeiten wechseln: wo vorher die strahlende Sonne,
erblickt man plötzlich die Mondsichel. Das Stilleben muss nicht länger
still und unbeweglich bleiben. Für Martin Schwarz ist alles möglich:
ein Zauberer, ein Spieler, der das Unbedeutendste und Harmloseste in das Ungeheuerlichste,
das Gewohnte, Vertrauteste, in das Befremdlichste verwandelt. Martin Schwarz
nennt seine Bilder VERFREMDUNGEN, seine Vor-Bilder PRIMÄRBILDER. Die Aufeinanderfolge
verschiedener Bildzustände und Handlungsabläufe bezeichnet er als
VARIATIONEN und BILDGESCHICHTEN. Martin Schwarz sagt, BILDER DIE ICH MAG ERZÄHLEN
OHNE WÖRTER: sie sagen nichts, sie zeigen etwas, und Zeigen ist Sprechen
ohne Wörter. Die Schweizer Schriftstellerin Leutenegger sagt, Ich habe
Angst vor den geronnen, erstarrten Dingen. Sie füllen die Welt auf wie
einen Trödlerladen. Sie ist muffig geworden vor soviel Abgestandenem. Vor
soviel eingetrödelter, erstickter Weltgeschichte. Mir scheint, so denkt
auch Martin Schwarz: was er meint, ist, KEIN HISTORIKER ENTRINNT SEINER GEGENWART,
die Zerstörung der Kunst von gestern (mit den Mitteln der Kunst) bedeutet
schon immer die Fortsetzung der Kunst von heute. Kein Leben für Dünnhäutige,
gewiss, die fertigen Bilder (vor Augen) sind plötzlich unfertig, das irritiert
nicht nur, sondern fordert eine neue Stellungnahme, eine neue Ergänzung.
Und: wenn möglich: OHNE WÖRTER, und wenn möglich: ALS LEBEN IM
KOPF.
Helmut Kruschwitz: (Der Landbote, 13. Dezember 1979)
Die Erfahrung des Nichts
Wahrnehmungsirritation nennt der Winterthurer Künstler
Martin Schwarz sein Verfahren, die Gestalt eines vertrauten Bildes als nur eine
von vielen Möglichkeiten zu erklären. In der galerie ge sind jetzt
auch seine jüngsten Arbeiten zu sehen: Fotografien und Fotocollagen, die
sich mit dem Menschen beschäftigen, ihn objektivieren.
In den siebziger Jahren erlebte nach Aussage eines Kunstkritikers jene Kunstrichtung
einen Höhepunkt, die Bilder früherer Künstler zitierte, veränderte,
verfremdete, die mit andern Worten die Kunstgeschichte selbst zu ihrem aktuellen
Thema gemacht hat. Seit Martin Schwarz 1972 auf einer Reproduktion den Kopf
der Mona Lisa wegretuschiert und die Hintergrundlandschaft durchgehend sichtbar
gemacht hat, ist die Bildverfremdung zum Hauptthema seines künstlerischen
Schaffens geworden. Manche Meisterwerke von Dürer bis zu Mondrian haben
sich seither unter seiner Hand und in seinem Geist verändert. In seine
Bildverfremdungen setze sich der junge Künstler erstmals intensiv mit seiner
zeitbedingten, aktuellen Umwelt auseinander. Doch folgt er nicht einfach einem
Modetrend. Vielmehr – scheint mir – spiegelt sich im Prinzip des
Bildzitates eine grundsätzliche Lebenserfahrung wider, die über den
bloss aktuellen Ansatzpunkt hinaus künstlerisch zum Tragen kommt.
Es bereitet uns Schwierigkeiten, dass die Arbeiten von Martin Schwarz nicht
mehr als Resultat eines schöpferischen Gestaltungsprozesses bewertet werden
können. Der Massstab ist ein anderer geworden. Seine Bildvariationen gehören
im Grunde genommen zur Objektkunst, da sie auf etwas vorgefundenem beruhen.
Die Kunstgeschichte selbst ist zum Objekt seines künstlerischen Tuns geworden.
Entscheiden ist aber nicht das vorgefundene Objekt selbst, sondern der Geist,
mit dem Martin Schwarz sie verändert, manipuliert und dadurch mit einem
aktuellen Bedeutungsgehalt auflädt. In diesem Sinne ist seine Objektkunst
zugleich und vor allem Ideenkunst.
Seine Grunderfahrung ist das Nichts, das Abwesende, das Verhüllte. Er wiederholt
Gottfried Kellers "Kolossale Kritzelei" aus dem Jahre 1842, die in
der Dezemberausstellung zu sehen ist – angeblich das erste abstrakte Bild.
Es versinnbildlicht das Nichts schlechthin. Aber selbst den uns vertrauten Meisterwerken
haftet das Nichts an, indem sie uns ihre eigentlichste Aussage verweigern. Seine
Bildverfremdungen versuchen unsere festgefahrenen Sehgewohnheiten in Frage zu
stellen, mit denen wir solche Meisterwerke mehr oder weniger gleichgültig
betrachten. Wahrnehmungsirritation nennt er sein Verfahren, das die Gestalt
eines Bildes nicht mehr als definitiv erklärt, sondern als eine von vielen
Möglichkeiten. Er reagiert damit auf die massenhaften Kunstreproduktionen,
auf den Supermarkt der Künste, der unsere Augen verdorben und den wahren
Sinn der Kunst entstellt hat. Seine unspielbare Musik lässt uns unser gedankenloses
Konsumieren von Musik bewusst werden, die verfälschte Erdkarte hinterfragt
das zum Massentourismus abgesunkene Reiseabenteuer.
In seinen jüngsten Arbeiten wendet er sich dem Menschen selber zu und zwar
in Form der Fotografie und der Fotocollage, die den Menschen objektivieren.
Auch in diesem neuen Thema begegnen wir dem gleichen zentralen Anliegen: Der
Erfahrung des Nichts. Der moderne Massenmensch hat seine Individualität
verloren und damit das, was unser Menschsein wertvoll macht. Martin Schwarz
aber ist auf der Suche nach der verlorenen Identität. Er fotografiert Grabkreuze
mit halb ausgelöschten Schriftzügen von Namen. Ist der Name vergessen,
ist auch die Existenz des Menschen, der ihn getragen hat, endgültig verloren.
In der Masse verliert der Mensch sein Gesicht und den Kontakt mit seinen Mitmenschen,
was der Künstler durch Übermalung und durch das Collageprinzip verdeutlicht.
Auf der Collage "Hochzeit mit mir" erscheint das Gesicht von Martin
Schwarz doppelt, aufgepfropft auf die fremden Körper eines längst
verblichenen Hochzeitpaares. Sie zeigt den Künstler in der Position des
Rückzugs auf sich‚s selbst, der Isolation, der Selbstbesinnung: Wer
bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Indem er die eigene Existenz mit dem
absoluten Nichts konfrontiert, versucht er in das Geheimnis der eigenen Individualität
einzudringen.
Vielen mögen die Einfälle von Martin Schwarz als Gags erscheinen.
Wer sich aber die Mühe nimmt, seine Arbeiten in einem Gesamtzusammenhang
zu sehen, der erkennt hinter dem Humor den bitteren Ernst, mit dem er unser
Menschsein befragt.